Film

Abschied vom Kibbuz
von Mo Bettermann, Uli Herrmann
DE 1996 | 65 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 20
09.11.1996

Diskussion
Podium: Mo Bettermann, Uli Herrmann, Waltraud Möbs (Schnitt)
Moderation: Werner Schweizer
Protokoll: Niko Ruhe

Protokoll

Eine „Hommage an Pioniere und ihre Geschichte“ habe man gesehen, leitet Werner Schweizer die Diskussion ein: Einen Film über den Niedergang einer Jugendbewegung, den Niedergong einer sozialistischen Utopie. Verzweiflung sähe man nicht bei den alten Kibbuzim, wohl aber Trauer, und ein wenig traurig mache der Film auch den Zuschauer. Zugleich ist er erstaunt, wie lange diese Utopie geholten hat: In Deutschland kamen die Probleme bei entsprechenden Selbstverwaltungsexperimenten viel früher.

Ob der Titel des Films nicht zu endgültig klingt, fragt sich der Sohn der Malerin aus dem Kibbuz, der zur Vorführung des Films angereist ist. Der Abschied, auf den sich der Titel bezieht, muß in der Tot kein Abschied für immer sein, meint auch Uli Herrmann, sondern spiegele zunächst lediglich etwas von der Haltung der alten Menschen, die der Film zeigt.

Aber die Veränderung ist andererseits doch sehr stark, sogt Mo Bettermann: Mit 16 Jahren war sie zum ersten Mol als Voluntärin im Kibbuz Kfar Hamacabi gewesen und hoHe dort „eine sehr gut funktionierende agrarische Weit“ vorgefunden. Als sie als Studentin Anfang der 80er Jahre in den Kibbuz zurückkehrte, hoHe dieser sich mit der Einrichtung der Fabrik bereits zu verändern begonnen; allgemein sei es mit den Kibbuzim Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre bergab gegangen. Werner Schweizer erinnert an die ursprüngliche Utopie der Kibbuzgründer: Auch wenn es irgendwie weitergeht, „der Funke fehlt“: Daher die Melancholie, daher die Trauer etwa im Bild des leeren Kindergartens.

Mehreren Zuschauern war der Film „zu harmlos“, „es wurde etwas verschwiegen“: Daß die Kibbuzim auch eine Funktion in der Siedlungspolitik des Staates Israel gehabt hätten, daß sie von parteinahen Institutionen unterstützt wurden, die damit auch einen gewissen Einfluß au die Kibbuzim hatten. Die Äußerung einer Kibbuzbewohnerin zu Beginn des Films, daß die Araber Nomaden gewesen seien, die sich nicht um den Boden gekümmert hätten und ihre Ziegen den Boden hätten kahlfressen lassen, stimme so nicht, bliebe aber unkommentiert stehen. Allgemein sei es nicht möglich, in einem hochpolitischen Kontext einen unpolitischen Film zu machen, meinte eine Zuschauerin: Der Film habe in seiner verharmlosenden Art entsprechend propagandistische Züge.

Ob sie in ihrem durchgehend kommentarlosen Film die Äußerung über die Araber denn lieber hätten unterschlagen sollen, fragt Hermann. Im übrigen habe es in dieser Gegend tatsächlich keine Dörfer gegeben, sondern nur Hirten und Nomaden. Von diesen sei der Boden von Kfar Hamacabi ganz legal gekauft worden, und dies sei – entgegen der verbreiteten Auffassung in solchen Fällen – die Regel gewesen und nicht die Ausnahme, ergänzte Bettermann. Zum zweiten: Zu der angesprochenen politischen Thematik, so Hermann, „gab es schon so viele Filme“ – und er bezweifle, daß bei der allgemeinen Prägung durch die Nachrichtenkultur einem Zuschauer der politische Kontext nicht präsent sein könne. Details wie der Bericht einer Kibbuzbewohnerin über ihren Sohn im Libanonkrieg seien ihnen daher wichtiger gewesen als eine krampfhafte Darstellung der politischen Situation in Israel. 1m übrigen hätten sie klare Vorgaben gehabt, informierten die Filmemacher: Sie drehten für die Serie „Menschen und Straßen“, der Film durfte nur etwa 60 Minuten dauern. Unter diesen Bedingungen mußten sie sich beschränken und entschieden sich, einen Dokumentarfilm über die Pioniere dieses Kibbuz zu machen, und keine Reportage, die jede einzelne Geschichte hintergründig beleuchtet, sagte Herrmann – letztlich „eine rein handwerkliche Entscheidung“: „Wenn sie das nicht befriedigt, dann ist das Pech“, so Bettermann, und vielleicht sei man ja hier auch „im falschen Forum“, setzte Herrmann nach.

Auch Werner Schweizer äußerte „eine leichte Frustration“: Er hatte erwartet, daß etwa in einem Gespräch mit den Altsozialisten des Kibbuz auch die Frage nach den Idealen von Gleichheit und Brüderlichkeit gestellt würde. Der Kibbuz sei schließlich keine unpolitische Vereinigung gewesen, sondern eine Gemeinschaft von Menschen auf der Suche nach einer klassenlosen Gesellschaft. Der Titel des Films, bemühte sich ein Zuschauer um Erklärung solchen Unmuts, mache nicht deutlich, ob es um einen konkreten Kibbuz gehe oder um die allgemeine Idee, für die ‚Kibbuz‘ schließlich auch stehe. Vielleicht in der Tat ein Problem, nachdem SeHermann darauf hingewiesen hone, daß als Teil der Erzählung des Dokumentarfilms durchaus politische Fragen angesprochen wurden.

Man könne nicht immer nur politische Filme machen, schloß eine Zuschauerin diesen Teil der Diskussion ab. Sie wollte den Film ganz losgelöst von seinem politischen Hintergrund sehen: Als Film über Menschen, die in ein fremdes land gegangen seien, um dort etwas aufzubauen, und die auch mit 80 Jahren noch arbeiteten und Zufriedenheit, Freude, Hoffnung ausstrahlten, „obwohl ihre Ideen nicht verwirklicht wurden“. Auch Schweizer bewunderte die Kraft, mit der diese Menschen „nicht bloß gequatscht“ haben, sondern sich selber diese Utopie realisiert haben: „Es macht Sinn, Utopien zu versuchen“. Und Herrmann sah die Protagonisten seines Films in einem „Schwebezustand der Weisheit jenseits der Frage, ob man alt ist oder jung“. Wenn ein Palästinenser im Publikum es nicht für nötig befunden hätte, Kibbuzim Seev Rebensaft stellvertretend für eine bewaffnete Siedlerorganisation, und ein wenig auch den Sohn der Malerin stellvertretend für alle abwesenden Israelis als Mörder seines Großvaters anzuklagen, dann hätte die Diskussion hiermit sanft ausklingen können.