Film

Ohne Zukunft
von Cuini Amelio-Ortiz
DE 1993 | 73 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 17
11.11.1993

Diskussion
Podium: Frank Gebauer (Co-Autor)
Moderation: Werner Ružička, Petra Katharina Wagner
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Die eigentliche Autorin und Regisseurin dieses Films Cuini Amelio-Ortiz war nicht anwesend, der Co-Autor Frank Gebauer konnte nur Informationen geben zur „Idee“ des Films.

Die IDEE des Films:

– entstanden aus einem diffusen Korrektur-Wunsch, den vielen „westlichen“ Horror-Berichten über rumänische Kinderheime, die vor ein paar Jahren durch Fernsehen und Presse gingen, etwas „anderes“ entgegensetzen zu wollen;

– eine nicht näher erläuterte Psychologin ermutigte das Filmteam, eine „andere“ Realität zu zeigen;

– die hohe HIV-Positiv-Rate unter rumänischen Kindern (von ca. 1900 registrierten AIDS-Kranken sind ca. 1800 Kleinkinder), die dem Filmteam zu Ohren gekommen war und die man aufklären wollte.

Dieses „andere“ hat System: Es sind nicht (nur) die unzureichenden hygienischen Bedingungen, die eine Horrorvision auslösen, sondern vor allem die systematische Zerrüttung von Familien und die massenhafte Internierung von Kleinkindern in Rumänien.

Der TITEL des Films:

– er schließt aus, daß sich irgendetwas ändern kann – obwohl doch zumindest unter den interviewten Ärzten ein gewisses Maß an Reflektion über die früheren Zustände vorhanden ist;

– der Ausreißer Marcel würde sich wahrscheinlich über den Titel kaputtlachen, eine Zuschauerin ist sich sicher, daß zumindest er es „schaffen“ werde, daß er also eine Zukunft habe – Frank Gebauer dagegen sieht die Zukunft dieser Kinder im Gefängnis;

– passend zum Titel wird über die Zwischentitel eine schicksalshafte Musik gelegt, die die ganze Ausweglosigkeit untermalt.

Einige bekenntnishafte Bemerkungen wie „Ich bin Filmemacher und froh, solche Filme nicht zu machen“, „Ich will nicht die Toiletten anderer Leute sehen“ oder ein leichtes Empören, daß dieser Film von einer GmbH (Tele Potsdam) produziert und verkauft……

Es zieht sich eine Unklarheit durch den ganzen Film, was den hilflosen Umgang mit Bildern betrifft. Es gibt ein ganzes Universum von möglichen Bildern, warum werden gerade diese gezeigt? Warum wird das Weinen von Annas Mutter filmisch ausgebeutet, warum „spielt die Kamera Baby“ (Anno aus Kleinkinderperspektive gefilmt) und erhebt sich dann nach ganz oben, wenn Anno in der Badewanne sitzt? Wie organisiert man Bilder? Muß der Filmemacher sein filmisches Konzept erklären, wenn er uns gerade seinen fertigen Film gezeigt hat? Die Filmemacherin kommt aus Südamerika und hat dort wohl ähnliche Erfahrungen gemocht (weiß aber niemand so genau).

Der Facettenreichtum des Films fand ebenso Anklang wie Widerspruch (das böse reality-TV flimmerte auf, das Schimpfwort Stefan Aust … wörtlich: Haarscharf in Aust-Richtung). Der Film zeigt die Mechanismen von Gleichgültigkeit und Zynismus, das Schweigen der Ärzte und selbstentschuldigende Erklärungen von Pflegerinnen in den Heimen. Menschlicher Zynismus ist, wenn der Mutter der Grund für die AIDS-Infektion. ihres Babys verschwiegen wird; Es gibt aber auch Mechanismen der Armut, die man nicht vergessen darf – Wie sollen Ärzte Virenübertragungen verhindern, wenn sie nur eine Spritze zur Verfügung haben und kein Arsenal von Einwegspritzen?

Es sei schon schwer, als Zuschauer diese Schicksale sehen zu müssen, wie widerstanden die Filmemacher dem Impuls, diesen Kindern helfen zu wollen? Durch Distanz.