Film

Bruderland ist abgebrannt
von Angelika Nguyen
DE 1991 | 28 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 15
15.11.1991

Diskussion
Podium: Angelika Nguyen
Moderation: Elke Müller
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Zu Anfang erläuterte Angelika Nguyen die Produktionsbedingungen ihres Videos: Sie hatte schon längere Zeit aus persönlichem Interesse Recherchen zu diesem Thema gemacht, als sie Anfang Mai das Angebot zu einem Film dazu erhielt. Für‘s Skript standen 2 Wochen zur Verfügung und nach 4 Wochen begannen schon die ca. 10-tägigen Dreharbeiten. Der Film wurde nicht im Fernsehen ausgestrahlt, sondern Angelika Nguyen führte ihn in verschiedenen Info- & 3.Welt-Läden in Berlin auf. Dabei zeigte sich, daß sich weniger die Vietnamesen dafür interessierten (weil sie das Thema aus eigener Erfahrung kennen) als vielmehr ehemalige DDR-Bürger.

Die Konzeption des Videos ging von 2 Möglichkeiten aus: Entweder hauptsächlich sachliche Informationen über Gesetzgebung, Mietsteigerung & Statistiken zu präsentieren, oder das Leben einiger Vietnamesen zu dokumentieren. Die Filmemacherin entschied sich für die zweite Möglichkeit, und stellte erstaunt fest, wie heterogen diese Gruppe in der ehemaligen DDR lebt(e), wie unterschiedlich sich die Lebensbedingungen einzelner Vietnamesen darstellen (Ausländerwohnheim vs. Familienvater mit deutscher Ehefrau) und wie entpolitisiert der Großteil dieser in schwierigen Verhältnissen lebenden Minderheit ist.

Auf die Frage, warum sie keinen investigativen Journalismus betreibe, also etwa den Überfall auf das Wohnheim bzw. die unerhörten Mietsteigerungen im ArWoGe-Block nicht weiter verfolge, die Täter also unerkannt blieben, antworte Frau Nguyen, daß sie dazu kein sinnliches Material gefunden hätte, mit dem sich etwas derartiges hätte anfangen lassen. Eine Zuschauerin ergänzte, daß solche Schuldzuweisungen an einzelne auch nur Alibifunktion hätten und dem Zuschauer ein gutes Gewissen machen würden, weil die Täter ja erwischt worden wären.

Mehrfach gelobt wurde die Sichtbarmachung der alltäglichen Gewalt, besonders deutlich in den Aufnahmen am Flughafen, wo das Problem des „Übergepäcks“ nur noch der Schickanierung Wehrloser zu dienen scheint, oder wenn Schwächere geduzt und angetatscht werden. Hier zeige sich der gewöhnliche Rassismus in seinen verschiedensten Facetten, einfach weil mit der Kamera genau beobachtet wird. Sowas ließe sich nicht planen, erklärte Frau Nguyen. dazu brauche man das Glück im richtigen Moment zur Stelle zu sein: „In diesen Momenten öffnen sich Fenster der Interpretation“ (Dietrich Leder).

Schwierigkeiten bei der Einordnung des Liedes zum Sieg in Saigon äußerten mehrere Diskussionsteilnehmer: Es wäre nicht ganz klar, ob das als Ironie zu verstehen wäre, oder ob der Song in diesem Film nicht genauso naiv benutzt wurde wie zur Zeit seiner Entstehung 1975. Hier schloß sich die Frage an, ob der Film nicht generell verschweige, daß auch zu DDR-Zeiten die Vietnamesen im Alltag ausgegrenzt wurden: Die DDR-Deutschen wuchsen mit dem Schlagwort „International“ auf, aber wussten gar nicht, was damit gemeint sei. Der Antifaschismus war gut gemeint als abstrakte Idee, aber die wirkliche Begegnung mit Ausländern sei auch damals oft rassistisch gewesen.

Angelika Nguyen führte noch aus, warum sie ihren eigentlichen Ausgangspunkt für diesen Film, einen Überfall von Skinheads in der S-Bahn nach kurzer Zeit fallen ließ: Im Magazin „Stern“ hatte sie Fotos von diesem Überfall entdeckt, aber ihre Recherche nach dem Fotografen führte ins Nichts bzw. zu der Vermutung, daß es sich um einen verdeckt arbeitenden Journalisten handele, der alle anderen Fotos von diesem Überfall zurückhält, weil er sonst auffliegen würde. Dies wäre aber ein sehr interessantes Thema für einen anderen Film: Wie die Rechte mit den Medien Geschäfte macht.

Auswahlkommissionsmitglied Dietrich Leder fand diesen Film wichtig, weil er schnell & vielschichtig auf ein aktuelles Thema reagiere und sowas wie eine Momentaufnahme von Wirklichkeit sei.