Film

Postadresse: 2640 Schlöglmühl
von Egon Hummer
AT 1990 | 82 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 14
17.11.1990

Diskussion
Podium: Egon Humer
Moderation: Karl Saurer
Protokoll: Eva Hohenberger

Protokoll

Mit der launigen Feststellung, die englischen Untertitel seien zwar ungewohnt, der Rezeption dieses österreichischen Films aber vielleicht hilfreich gewesen, eröffnete Karl Saurer die Diskussion und schloß die Frage nach dem Ausgangspunkt und der Konzeptentwicklung an.

Egon Humer war als Kamera-Assistent 1984 zum ersten Mal in Schlöglmühl. Er filmte die marode Architektur, die er schön fand, die Bewohner aber nicht. Seitdem hat er sich mit SchlögömUhl beschäftigt und ein Medienpaket konzipiert, das aus einem Hörfunk-Feature, einer wissenschaftlichen Studie und eben dem Film besteht. Die Vorbereitung des Films dauerte 1/2 Jahr, das Drehen 3 Monate. Der Film wurde vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Sport und vom Land Niederösterreich finanziert, das Land zog nach Fertigstellung allerdings einen Großteil des Geldes wieder zurück, weil der Film „unausgewogen“ sei, er sollte aber gar nicht ausgewogen sein, sondern ein „Angriff“.

Die Wissenschaftler haben ein 3/4 Jahr in Schlöglmühl gelebt und ihre Studie ist ein recht komplexer „Inlandsreport“, der Humer aber nicht so gut gefällt.Die Wissenschaftler hätten sich z.B. an manche Frauen gar nicht erst herangetrautt er aber habe zeigen wollen, wie menschlich auch die Probleme der „Schwierigen“ sind.

Kritik an den Gewerkschaften?

Oie Gewerkschaft werde zwar kritisiert im Film, könne aber mit der Kritik umgehen und ihre Schuld zugestehen. Das Sozialministerium, das größere Verantwortung trage, werde im Film gar nicht erst kritisiert.

Bewußter Stilwille

Der Film arbeitet mit festen Einstellungen und Parallelfahrten. Die Cadrierung ist genau, der Ton ebenso. Es gibt relativ wenig Sprache, dafür spielen Medien (Radios und Fernseher) eine große Rolle, die wie Signale von draußen in das geschlossene System von Schlöglmühl eindringen. Die Kamera signalisiert auch eine Distanz zu den Dargestellten, mit denen sich Humer trotz aller Liebe nicht verbrüdern wollte. In den Fahrten sei ihm wichtig gewesen, ein Durchschreiten des Ortes wiederzugeben. Mit seiner Vergangenheit als Experimentalfilmer habe das alles nichts zu tun. eher mit seiner Tätigkeit als Cutter fürs Fernsehen, das sei „gelerntes Handwerk“.

60% des Films bestehen, so meinte ein Zuschauer, aus Innenaufnahmen, 40% aus Außenaufnahmen und davon nur 10% aus Aufnahmen bei Tag. Der Film bevorzuge Dämmerstunden, warum?

Humer lobte die scharfe Beobachtungsgabe, ihm sei die Ausblendung des Tages gar nicht so bewußt, aber am Tag habe er wohl nicht die Bilder gefunden, die er gesucht habe. In der Dämmerung, wenn die Kneipe aufmacht, sei auch mehr losgewesen.

Ausflüge in die Wirklichkeit

Damit SchlöglmUhl nicht ausstirbt, wurden Sozialfälle aus der Umgebung dort angesiedelt. Sie sind dort auch glücklicht weil sie in einem Freiraum leben, die Polizei kommt relativ selten. Schlöglmühl ist kein Einzelfall, seit der Jahrhundertwende, so ein Zuschauer, werden entlassene Strafgefangene in alten Fabrikgebäuden vor den Orten untergebracht. Nur zwei Menschen in SchlöglmUhl haben Arbeit, die Pendler kommen aus angrenzenden Orten. Die Frauen sind lebendiger als die Männer, sie reagieren auch radikaler und beziehen klarer Position. Die Gewalt muß man auch als ritualisierte Tradition begreifen, z.B. sei nachts ein Schlagabtausch durchaus üblich und werde so kommentiert: „es is halb zwei, da haun mir uns eine in die Goschn“.

Zurück zum Film

Er habe, so sagte ein Zuschauer, den Film nicht gerade als Angriff gesehen, er gebe eher die Stimmung einer Apathie wider und betone durch de Musik das Leid als Passion. Gerade in dieser Passion fand eine Zuschauerio die Liebe des Filmemachers zu SchlöglmUhl wieder und bedankte sich für den Film, wohingegen sich der Regisseur für das Vertrauen der Schlöglmühler bedankte, für deren Kinder vor allem er den Film gemacht habe.

In die Öffentlichkeit

Humer hofft, daß nach den Experimentalfilmern jetzt auch die Dokumentaristen in Österreich mehr an die Öffentlichkeit kommen. Dafür seien auch Festivalerfolge wichtig. Ein Film wie seiner paßte ja nicht ins Fernsehen, wUrde dort höchstens in der Abteilung Kunst abgehandelt. Er hat aber immerhin einen Verleih und startet im April 91 in Wien. Dann wird er auch in Schlöglmühl vorgeführt.