Extra

Neues vom Satelliten?

Duisburger Filmwoche 14
1990

Podium: Christian Blankenburg (1PLUS), Claire Doutriaux (LaSept), Dr. Walter Konrad (3SAT), Michael Schmid-Ospach (WDR-1PLUS)
Moderation: Cornelia Bolesch, Dietrich Leder
Protokoll: Judith Klinger

Protokoll

Konzeption und Kulturbegriff

In einer ersten Runde forderte Cornelia Bolesch die Gesprächsteilnehmer auf, die Programmkonzeption und den dahinterliegenden Kulturbegriff der vertretenen Sender zu erläutern. 

Wenn man 3SAT als ‚Kulturkanal‘ apostrophiere, antwortete Walter Konrad, so meine dies in erster Linie den kulturellen Schwerpunkt, der sich als konkreter Programmanteil (von bis zu 20%) benennen lasse. Das Besondere sei hier die Integration der drei Länder vertretenden, vier Fernsehorganisationen. Eine echte, inhaltliche Alternative zum ZDF mit selbstproduzierten Sendungen anzubieten, falle angesichts knapper Mittel allerdings nicht leicht.

1PLUS verstehe sich als Komplementärprogramm zur ARD und den Dritten Programmen, erklärte Christian Blankenburg, biete Dokumentationen und Features auch in der ‚prime time‘ an, außerdem Retrospektiven von Autoren und Filmemachern (derzeit Klaus Wildenhahn). Die Programmfläche sei natürlich geringer als bei 3SAT (gesendet wird erst ab 18 Uhr) und der Eigenanteil eher bescheiden, da man mit einem Etat von 20 Mio.DM und einem relativ kleinen Mitarbeiteratab auszukommen habe.

Von LaSEPT berichtete Claire Doutriaux, daß die Zuschauerzahlen aufgrund der Ausstrahlungsprobleme (die Verkabelung Frankreichs ist noch nicht weit fortgeschritten, der Sender verwendet eine seltene Codierungsnorm) sehr gering seien. Gegenüber dem von Walter Konrad festgestellten, höheren Bildungsniveau des 3SATPublikums unterscheiden sich die LaSept-Zuschauer, wie man per Umfrage feststellte, nicht vom Publikum größerer Sender. LaSept bringt pro Tag dreieinhalb Stunden neues Programm, das von den Abteilungen Dokumentarfilmt Musik/Theater/Tanz und Spielfilm (hier allerdings nur eingekaufte Filme) bestritten wird. Eigene (meist Co-)Produktionen machen etwa die Hälfte des Programms aus -ähnlich ausgewogen sind auch die Anteile französischer und internationaler, bzw. europäischer Sendungen.

„Kultur ist alles, was noch nicht ist“, erläuterte Walter Konrad seinen Kulturbegriff, es gehe also um „Gegenentwürfe“, „Befreiung von Verkrustungen“, die sich im Programm als „Ereignistage“ oder beispielsweise nur von Frauen hergestellte Sendung wiederfinden.

Man müsse Experimente fördern, betonte Christian Blankenburg, der Zeitgeist spiele für 1PLUS eine wichtige Rolle; das Ziel: ein gutes Feuilleton-Programm. Im übrigen stehe der hier zur Anwendung kommende Kulturbegriff keinesfalls im Gegensatz zu seiner ARD-Ausprägung, ergänzte Michael Schmid-Ospach, sondern ziele auf eine „intelligente Vertiefung“ der im ersten und dritten Programm bereits existenten Sendeformen und Inhalte.

An dieser Stelle vermißte Cornelia Bolesch die inhaltliche Alternative, fragte nach Raum für kulturpolitische Auseinandersetzungen, für Themen wie Hausbesetzung. Wohnungsnot, Situation der Universitäten. Dies gehöre in den Bereich von Information und Politikt erwiderte Konrad, wofür mindestens eine Sendung pro Woche zur Verfügung stehe: Natürlich müsse die Fernsehkultur auch Aktualität einräumen können (er verwies hier auf die über fünf Tage verteilte, 28stündige Sendung vom Ingeborg Bachmann-Preis).

Es geht um Fernsehkultur, das heißt: das Bild steht im Mittelpunkt, sagte Claire Doutriaux, die die inhaltliche Konzeption von LaSept auch in Hinblick auf die Reflexion des eigenen Mediums, des Umgangs mit Bildern präzisierte. Dies komme häufig in selbst-, bzw. co-produzierten Dokumentarfilmen zum Tragen. Aufgrund der erwähnten Ausstrahlungsschwierigkeiten werde bei LaSept derzeit noch auf aktuelle Berichterstattung verzichtet. Einen dem 3SAT-Programm verwandten Ansatz sah sie in der schwerpunkthaften Darstellung eines Themas über einen ganzen Tag hinweg.

Der Ausgangspunkt der Erfindung von Kulturkanälen sei doch der Anspruch gewesen, das ’normale‘ Programm zu begleiten und durch eine andere Praxis zu kritisieren) stellte Cornelia Bolesch fest und schloß die Frage an: Sind diese Kanäle inzwischen das Abstellgleis für weniger zuschauerquotenintensive Sendeformen in ARD und ZDF? Natürlich gebe es die ‚Kraft des Vorbilds‘) räumte Walter Konrad ein, wollte die Aufnahme versprengter oder von vornherein ausgesparter Formen (Beispiel: Satire) aber lieber als ‚Wiederentdeckung von Genres‘ verstanden wissen.

Zum Deutsch-Französischen Kulturkanal

Das letztlich durch die Wiedervereinigung gerettete und im Sinne eines europäischen Akzents nun doch weiterverfolgte Projekt des Deutsch-Französischen Kulturkanals (DFK) bildete den zweiten Schwerpunkt des Gesprächs.

Die Bedenken einiger Diskussionsteilnehmer leiteten sich zunächst aus der Entstehungsgeschichte des DFK ab: Während Baden-Württembergs Ministerpräsident Lothar Späth eine allgemeine Gebi.lhrenerhöhung, die sämtlichen Sendern zugute gekommen wäre, zunächst gekippt hatte, fand er sich später zur Bereitstellung der für einen DFK (mit Standort Baden-Baden/Straßburg) nötigen Summen durchaus bereit. Dietrich Leder bezeichnete diesen Vorgang als Realsatiere und bemerkte, die Privatstrategien von Politikern gegenüber dem Fernsehen seien offensichtlich durchsetzbar.

Seine Hauptsorge, so Michael Schmid-Ospach, gelte den traditionellen Programmen, denen durch politische Prestigeprojekte Gebührengelder entzogen werden. Man erwäge zur Zeit ernsthaft die Einstellung von Radio Bremen und dem SFB. Der DFK erfülle seinen Sinn sicher nicht als Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahme für Baden-Württemberg, insofern halte er die Beteiligung der Ministerpräsidenten aller Bundesländer an diesem Projekt für die richtige Strategie.

Bedenken gegenüber dem bürokratischen Überbau eines solchen Kanals, wie sie Walter Konrad aussprach, äußerte auch Claire Doutriaux; allerdings habe man gegen die „Kopfgeburt“ LaSept einmal ähnliche Zweifel ins Feld geführt. Ein Gelingen werde sich letztlich durch das Maß der Unabhängigkeit von deutschen Zentralstellen (ARD/ZDF) und die personelle Besetzung bestimmen) die die Grundlage eines kritischen Umgangs mit dem Medium schüfen.

Die Idee) einen Fernsehsender grenzüberschreitend, unter dem Motto „kulturelles Aufeinanderzugehen“ (Schmid-Ospach ) zu betrieben, wirkte auf Cornelia Bolesch eher abschreckend: Ob es denn wirklich nötig sei, wirtschaftliche Vorgänge auf geistiger Ebene nachzuahmen, fragte sie. Eine uferlose Vermischung unterschiedlicher Mentalitäten, ein kultureller Zentralismus, wie er hier angestrebt werde, habe für sie etwas Beklemmendes. Es gehe darum, Verständnis und Integration zu fördern, antwortete darauf Christian Blankenburg, und Michael Schmid-Ospach fügte hinzu, es bestünde die Chance, intellektuelle Kapazitäten eines Landes einzubringen, über den Einfluß von WDR und NDR etwa auch die Produktion von Dokumentarfilmen anzukurbeln.

Die ‚Konfrontation des Zuschauers mit anderen Arten von Programmen‘, die Christian Blankenburg als Ziel des DFK benannte, präzisierte Walter Konrad mit einem (weiteren) Hinweis auf die von 3SAT unternommenen „Thementage“ (Ausgangspunkt ist die ZDF-Redaktion ‚Kleines Fernsehspiel‘); es gehe darum, eine herkömmliche Programmstruktur außer Kraft zu setzen.

An dieser Stelle der Diskussion meldeten sich erstmals auch Zuschauer zu Worts äußerten sich kritisch über den ‚kulturellen Zugewinn’, den man sich vom DFK erhoffen dürfe: Die bestehenden Programme seien doch längst in einen Austausch eingebunden, wozu also eine „Oberflächenvergrößerung der immer gleichen Kultur“? In diesem Sinne wurde auch nach dem Platz für Kurzfilme gefragt, die Nachwuchsfilmkultur werde bisher von allen Sendern „massiv ausgeklammert“.

Hier benannte Christian Blankenburg die Unabhängigkeit der Satellitenprogramme vom Korsett der zwei Hauptnachrichtensendungen als begünstigenden Faktors und auch Walter Konrad betonte, im 3SAT-Programm fänden sich bereits jetzt viele Beispiele einer sonst auf Festivals beschränkten Filmkultur.

Die Qualität und innovative Kraft eines Programms, so Dietrich Leder, sei schließlich immer auch von den Ansprüchen einer bestimmten Redaktion abhängig, wie sich am Beispiel LaSept demonstrieren lasse. Ein von einer kleinen Gruppe hergestelltes, bzw. verantwortetes (Satelliten)Programm, das seine Funktionstüchtigkeit unter Beweis stellt, kann dann auch wirksam auf die traditionellen Sendeanstalten ausstrahlen und modellhaften Charakter gewinnen.

 Michael Schmid-Ospach, Christian Blankenburg, Walter Konrad, Claire Doutriaux, Cornelia Bolesch, Dietrich Leder v.l. © Ekko von Schwichow
Michael Schmid-Ospach, Christian Blankenburg, Walter Konrad, Claire Doutriaux, Cornelia Bolesch, Dietrich Leder v.l. © Ekko von Schwichow