Film

Durch fremdes Land – ein Reisebericht
von Felix Karrer
CH 1990 | 53 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 14
15.11.1990

Diskussion
Podium: Felix Karrer
Moderation: Elke Müller, Sybille Licht
Protokoll: Reinhard Lüke

Protokoll

Produktionsbedingungen

Die Bedingungen, so Karrer, seien von der produzierenden Fernsehanstalt vorgegeben worden. Man habe 18 Dreh- und 22 Schnittage zur Verfügung gehabt und dann beschlossen, aus dieser Not eine Tugend zu machen. Chur habe er lediglich als Ausgangspunkt der Reise gewählt, weil dort die Brandstiftung geschehen sei. Ansonsten habe er bewußt ein bestimmtes Maß an Zufälligkeit in Kauf genommen, das die Auswahl der Orte und die Dauer der jeweiligen Aufenthalte betreffe.

(Warum keine) ‚Extreme‘ Positionen?

Karrer: Er habe einen anderen Film zu dieser Problematik. gemacht, der sich mehr mit rechtsradikalen Gruppierungen und Positionen befasse. Aber eigentliche halte er die Auseinandersetzung mit den ‚Durchschnittsbürgern‘, die durch ihr gedankenloses Mitläuferturn den Nährboden der Ausländerfeindlichkeit stellten, für wichtiger. Gerade die Linke, die sich in dieser Sache engagiere, nehme diese Menschen oft nicht ernst genug, was ihrem eigenen Anliegen nicht diene. Hier liege jedoch seines Erachtens auch ein grundsätzliches Problem des Dokumentarfilms, der sich oft nur den ‚Randgruppen‘ widme. Der ‚platte Durchschnitt‘ werde vielfach vernachlässigt, da dort natürlich auch nicht so pittoreske oder spektakuläre Bilder zu erwarten seien. Aber welche grotesken Formen der Exotik es auch unter ‚Normalbürgern‘ gebe, mache das Beispiel des Arbeiters im Film deutlich, der direkt neben den Öltanks Raubkatzen halte. Grundsätzlich habe er mit seinem Film weniger über Probleme der Asylbewerber informieren wollen. Vielmehr sei es ihm primär um eine innere Bestandsaufnahme der Schweiz, um Entfremdungen und Ausgrenzungen innerhalb dieser Gesellschaft gegangen, um aus dieser Perspektive die Entstehungsbedingungen derart undifferrenzierter und falscher Urteile über Asylbewerber plausibel zu machen.

Gefahr der Mißverständlichkeit (?)

Während einige Teilnehmer lobend erwähnten, daß der Film sich in puncto plakativer Kommentare wohltuend zurückhalte und stattdessen auf mehreren Ebenen deutlich mache, wie sich die Ansichten der einzelnen Interviewpartner in bestimmten Gruppengefügen veränderten, stellten andere gerade diese Selbstevidenz des Films in Frage. Gerade unter den Bedingungen einer Fernsehausstrahlung bestehe die Gefahr, daß viele der von den Interviewten vertretenen Ansichten für die Zuschauer eine fatale Plausibilität gewinnen könnten. Die plastische Darstellung der Lebensbedingungen unterprivilegierter Schweizer mache ihre Meinungen über Asylanten ja gerade verständlich und führte somit womöglich eher zur Bestätigung denn zur Korrektur allgemeiner Vorurteile. Der Film habe versäumt, dieser Gefahr durch Informationen, Zahlen und geeignete Kommentare dieser Scheinplausibilität ein Korrektiv entgegenzusetzen.

Die politisch-ökonomische Dimension

Alexander J. Seiler wies darauf hin, daß das Problem der Asylbewerber weit schwieriger deutlich zu machen sei. als das der italienischen und yugoslawischen Fremdarbeiter in den 60er Jahren. Damals seien die ökonomischen Vorteile für die Schweiz ja auch innerhalb der Arbeiterschaft relativ unstrittig gewesen. Aber im Film von Felix Karrer vermisse er doch ein wenig den Einbezug der politisch-ökonomischen Bedingungen, aus denen ja sowohl das Gefühl der ‚Fremdheit im eigenen Land‘ bei vielen Schweizern, wie auch ihre Ablehnung der Asylanten resultiere. Felix Karrer hielt dem entgegen, daß diese Aspekte ja in den Aussagen der Interviewpartner explizit zur Sprache kämen. Beispielsweise gebe eine Frau zu, daß man die ‚Asylanten ja auch brauche‘, was ja auch den Tatsachen entspreche, wenn man bedenke, daß die Asylanten auch heute in bestimmten Bereichen das Gros der Arbeitnehmer stellten. Desgleichen mache der Film die Bedingungen der ‚Fremdheit im eigenen Land durchaus deutlich, wenn ein Arbeiter äußere, daß die Schweiz allenfalls ein ‚Paradies für Banken und ausländische Kapitalanleger‘ sei, er selbst jedoch 10 Jahre lang keinen Urlaub gemacht habe.

‚Wenige, aber zu viele‘

Ein Teilnehmer glaubte im Kommentar eingangs des Films, daß ‚wenige aber doch zu viele bereit gewesen seien, Ober Ressentiments gegenüber Asylanten zu sprechen‘, ein positives Zeichen zu sehen. In Deutschland habe man demgegenüber kaum Hemmungen, seine diesbezüglichen Ansichten vor der Kamera zu äußern. Felix Karrer wollte seinen Kommentar jedoch keineswegs als Anlaß zur Hoffnung verstanden wissen. Es gelte lediglich als ‚unfein‘, sich zu bestimmten Fragen öffentlich und insbesondere vor einer Kamera zu äußern. Diese Scham, die keinerlei Rückschlüsse auf die tatsächlich vorhandenen Ansichten zulasse, sei allerdings in den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten höchst unterschiedlich ausgeprägt. Möglicherweise beginne sie in der Schweiz aber einige Schichten ‚tiefer‘ als in anderen Ländern. Bei den Angehörigen des ‚gehobenen Mittelstandes‘ habe er -was der Film auch deutlich mache- große Schwierigkeiten gehabt. sie zu einer Stellungnahme zu bewegen. Alexander J. Seiler pflichtete dem bei und zeigte sich überrascht, daß es Karrer überhaupt gelungen sei, soviele Menschen in seinem Film zum Reden zu bringen.

Reaktionen auf die Fernsehausstrahlung

Felix Karrer zur Frage, ob der Film eine öffentliche Diskussion ausgelöst habe: Nein, natürlich nicht. Diese Erwartung an einen Film wäre ja auch vermessen. Es habe zwar eine gewisse Zuschauerresonanz und Kommentare in der Presse gegeben, aber entscheidender sei doch der Umstand, daß bei Anschlägen auf Asylantenwohnheime (wie in Chur) kaum empörte Reaktionen in der Öffentlichkeit zu vernehmen seien.