Film

Zu Besuch bei … Börsianern
von REINHOLD BÖHM
DE 1989 | 45 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 13
15.11.1989

Diskussion
Podium: Reinhold Böhm
Moderation: Detlef Saurien
Protokoll: Torsten Alisch

Protokoll

Reinhold Böhm erklärte – ohne Krawatte – warum er sich bei den Dreharbeiten nach einiger Zeit dem Krawattenzwang an der Frankfurter Börse angepasst hat. Offensichtliches Erstaunen vieler Zuschauer rief jedenfalls die zwanglose Nähe und das Vertrauen hervor, das dem Filmemacher bei den Aufnahmen von Börsianern entgegengebracht wurd9l. Dieser offenen Zugang zu dem relativ abgeschlossenen System „Börse“ wurde Reinhold Böhm möglich durch zwei Wirtschafts-Dokumentationen („Der Wuppermann-Oea“‚ 1986 und „Krupp & Stahl“, 1987) in denen er bewiesen hatte, daß er „Herrschaftswissen nicht unter der Gürtellinie“ anwende. Eigene Spekulationstätigkeit an der Düsseldorfer Börse und eine 6-wöchige Recherche, die er selbst als „Test“ empfand, machten diese – von vielen als „populär“ beschriebene Studie möglich.

Seine eigene Position beschrieb Reinhold Böhm als die eines Filmemachers, der einfach mal wissen wollte, was sich hinter dem Mythos „Börse“ eigentlich verbirgt. Er „wollte da einfach rein“ und der Faszination nachspüren, wie man mit Insiderwissen Geld machen könne. Der Film sei natürlich ein „Grenzgang“ gewesen, aber letztlich entschieden, wie weit er gehen und was er zeigen darf, hat Böhm allein. Er wollte jedenfalls „mehr als nur einen besseren Wirtschaftsbericht“ machen.

Die „Leichtigkeit“ und der „witzige Stil“ dieses Films wurden von mehreren Zuschauern lobend erwähnt, andere vermissten einen „analytischen Ansatz“, wie ihn etwa Peter Krieg mit seinem Film „Septemberweizen“ versucht hatte, oder fühlten sich vom „Fischmarkt-Flair“ irritiert: Sie wollten „verstehen“, wie Börse funktioniere, oder hätten gern mehr schlechtes Gewissen hervorgekehrt gesehen: „Die Leidtragenden sitzen doch in der Dritten Welt“…

Für Reinhold Böhm sind das aber zu hohe Ansprüche („dann müsste man Bücher schreiben“), mit Dokumentarfilm will er etwas auf eine „populäre Art“ darstellen, will „etwas lebendig machen“. Oder anders: „In einem geschlossenen System ein paar Geschichten erzählen“ („geschlossenes System“ verstanden als gesellschaftlichen Bereich, der relativ bedeutend ist, zu dem die Öffentlichkeit aber keinen Zugang hat bzw. aus dem sie kaum Informationen erhält). Solch ein „populärer Ansatz“ solle natürlich schon etwas vermitteln, so Böhm, aber nun nicht gerade die Frage, was etwa ein „Genußschein“ sei (Funktion und Sinn von Genuß- und Optionsscheinen erklärte Böhm dann im Verlauf der Diskussion auf Nachfrage einiger besonders Wißbegieriger).

Im Zusammenhang mit anderen Filmen auf der diesjährigen Duisburger Filmwoche äußerte ein Zuschauer lobend, daß solch ein Film über ein an sich abgeschlossenes System wie die Börse in Zusanmenhang etwa mit einem Film über Rheinhausen Aspekte erkläre oder aufzeige, die ansonsten ausgeklammert würden, wenn etwa über ein anderes abgeschlossenes System wie Rheinhausen berichtet werde. Wörtlich: „Ich will nicht mehr dem Zwang unterliegen, daß mir ein Film die ganze Welt erklärt, und danach kommt ein anderer, der mir wieder die ganze Welt erklärt… und so geht das schon seit 20 Jahren.“

Das „Schöne“ an diesem Film war für einen Zuschauer die Art der Menschenbeobachtung, die die Akteure nicht „vorführe“, sondern sie der Entdeckung durch den Zuschauer überlasse: „Ein ethnologischer Film im Naheliegenden“, umschrieb das ein anderer.

Genau darum sei es ihm auch gegangen, meinte Böhm; in den Kurzporträts zweier Börsianer zeige sich zum Beispiel mehr als in platten Schuldzuweisungen: Der Kunstsammler oder der Porschefahrer, die lösten bei ihm immer Gedanken aus wie: „Ach, mein Gott. was nützt denen das ganze Geld…“, und das sei doch interessanter als ihnen vorzuhalten. sie seien „Lumpen“ oder „arbeiteten im Interesse des Großkapitals“.

Auf die Zwischenfrage einer Frau, warum die Männer im Film immer mit Namen vorgestellt wurden, die Frauen aber nur in ihrer Funktion („Maklerassistentin“ o.ä.). antwortete Reinhold Böhm, daß er dies absichtlich getan hätte: Sie seien eben nur die „grauen Mäuse“ in dem ganzen Spiel.

Zum Schluß nannte Böhm noch einen weiteren möglichen Grund, warum er einen so offenen Zugang erhalten habe: Diese Art der Börse werde schon in naher Zukunft von einem neuen Börsensystem abgelöst werden, der Terminbörse, an der Börsianer überflüssig sind und: alles über Computer abgewickelt wird. Diese „große Show“, wie eine Zuschauerin das Geschehen auf der Leinwand charakterisierte, werde in naher Zukunft ein Relikt sein : der Börsianer als „Fossil“.