Extra

Der inszenierte Streik

Duisburger Filmwoche 12
11.11.1988

Podium: Rainer Zimmermann (WAZ/NRZ), Helmut Laakmann (Angestellter, Krupp AG, Rheinhausen), Theo Stegmann (Betriebsrat, Krupp AG, Rheinhausen), Georg Kellermann (WDR-Regional-Korrespondent), Klaus Helle (Filmemacher), Michael Geyer (Redakteur Radio Bremen), Christian Berg (Redakteur Radio Bremen), Johannes Kaul (stellv. Chefredakteur West 3)
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Toni Weber

Protokoll

In seinen einleitenden Worten betonte Werner Ruzicka, daß die Härte des Arbeitskampfes , die Bedrohung von Arbeitsplätzen und die Situation in den Familien nicht vergessen sind, wenn darüber nachgedacht und diskutiert werde, wie dieser Arbeitskampf medial vermittelt worden sei.

Im Anschluß an die Präsentation einiger ausgewählter Fernsehbeiträge zum Arbeitskampf von Rheinhausen forderte Werner Ruzicka die Diskutanten auf dem Podium auf kurz ihre Meinung, Haltung oder Erfahrung zu benennen.

Der Betriebsrat Theo Stegmann argumentierte in seinem Beitrag gleich anfangs gegen die im Titel formulierte These. Natürlich hätten sie Öffentlichkeit herstellen wollen, wäre es ihre Absicht gewesen, in den Medien mit ihrem Anliegen vertreten zu sein. Das Interesse der Medien an Bildern hätten sie jedoch keinesfalls so befriedigt, daß sie denen Bilder geboten hätten. Ihre Aktionen, die selbstverständlich auf Öffentlichkeit bezogen waren, hätten sie auf jeden Fall durchgeführt. Die Reaktion der Medien, die ihren Kampf unterstützen; hätten sie positiv erlebt. Die meisten Journalisten seien nicht nur auf Sensationelles ausgewesen, sondern hätten sogar parteilich berichtet. Die Kehrseite habe er nun erlebt. Gegenüber den Dezembertagen, als das Interesse der Medien groß gewesen war, weil erhofft wurde, daß etwas passiert, sei vor zwei Tagen bei einer benachbarten Zeche, die gleichfalls von der Schließung bedroht sei, die Presse nicht interessiert gewesen. Aus dieser Erfahrung heraus frage er sich, was wohl zukünftig von Leuten getan werden, was den Medien geboten werden muß, um einen Arbeitskampf mittels der Medien öffentlich zu machen.

Helmut Laakmann, der oft im Vordergrund gestanden hatte, seinen Kollegen Mut und Hoffnung gemacht hatte, beschrieb seine Situation. Er habe die Medienberichte eigentlich nicht verfolgt. Bedauerlicherweise habe er, der oft vornedran gestanden habe, den Verhandlungsstand nicht gekannt. Daraufhin fragte Werner Ruzicka ihn, ob er es als Entzug erfahren habe, als er nicht mehr so in der öffentlichen Beachtung gestanden habe. Diese Anmutung verneinte er und äußerte diese Abweisung unterstützend, daß er es schön gefunden habe, in „Wenn es nicht so ernst wäre, müßte man weinen“ von Christian Berg und Michael Geyer nicht vorzukommen.

In der Runde weiterführend fragte der Moderator Rainer Zimmermann, wie er die Berichterstattung des Fernsehens beurteile, ob er als Zeitungsredakteur neidisch auf die elektronische Berichterstattung sei. Rainer Zimmermann beschrieb dann, daß zwar die News und Schlagzeilen aufgrund der Schnelligkeit und Überregionalität von Hörfunk und Fernsehen der Zeitung verloren gingen. Andererseits habe deren Interesse an Rheinhausen inzwischen nachgelassen. Doch diese Andersartigkeit mache ihn nicht neidisch auf sie. Wesentlich war ihm jedoch über die Vermutung zu sprechen, der Streik wäre inszeniert gewesen.

Zunächst stellte er richtig, daß es ein Arbeitskampf und nicht nur ein Streik sei. Im Verlauf dessen hätten die Komitees und Versammlungen zwar gelernt, wie mit den Medien umzugehen sei, hätten auf deren Anforderungen hin ihre Anliegen und Veröffentlichungen formuliert, doch mit Inszenierung habe diese nichts zu tun. Die Berichterstattung bedingt durch das überörtliche Interesse der Medien habe sicherlich zum Erfolg des Arbeitskampfes beigetragen, doch auch dies hätte mit Inszenierung nichts zu tun. Gleichfalls wäre es nicht auf inszenierte Aktionen zurückzuführen, daß bei ihnen in der Lokalredaktion auswärtige Journalisten sich erkundigt hätten, ob eine anstehende Aktion für sie gefährlich wäre oder nicht. Dennoch dies wolle er nicht verschweigen, habe es inszenierte Abläufe gegeben. Die Nachtdemonstration im Anschluß an das Interview von Kromme im Bonner Generalanzeiger und der Umgang mit dem Telefonmitschnitt des Gesprächs Kromme/Kriwet.

Ein Anliegen sei ihm, der Behauptung entgegenzutreten, daß die Parteilichkeit in der lokalen Berichterstattung bedingt wäre durch die Angst, Abonnenten zu verlieren. Er könne zwar nicht beweisen, daß hier kein Zusammenhang existiere, doch fände er diese Sicht eine unstatthafte Reduktion.

Danach stellte Werner Ruzicka den WDR-Regional-Korrespondenten Georg Kellermann als einen Mann der Bilder und Töne vor. Dem widersprach dieser sofort. Er sei kein Filmemacher, sondern freier Mitarbeiter des WDR-Hörfunks für die Region von Duisburg bis Dinslaken und habe lediglich in der Folge der Ereignisse auch Fernsehberichte gemacht. Der Arbeitskampf in Rheinhausen habe für ihn nach kurzem eine Dimension erhalten, die er nicht mehr hätte abschätzen können. Die Frage von Parteilichkeit bzw. Objektivität habe sich für ihn bald erledigt, als er begriff, wie existentiell das Werk für Rheinhausen ist. Zudem hätte er auch im allgemeinen Sinn gar keine Objektivität erbringen können, da die Unternehmensleitung abgeschottet hatte. Für ihn persönlich wäre die Berichterstattung über Rheinhausen die bedeutenste in seinem Berufsleben.

Christian Berg beschrieb in Anlehnung an Ruzickas Vermutung ihre Arbeit als eine, die sich nicht zum Ziel nehmen konnte, aktuell zu berichten. Angeregt von Herrn Laakmanns Auftreten in einem Monitorbeitrag seien sie zwischendurch, für Tage, nach Rheinhausen gefahren. Aufgrund dieses Umstandes hätten sie sich vorgenommen, den Alltag der Leute aufzuzeigen. Diese andere Weise der Darstellung sei auch dem Um· stand geschuldet, daß Rheinhausen als ein Thema des WDR und nicht von Radio Bremen ARD-intern gelte. Parteilichkeit sei für sie nicht die Frage, da sie versucht hätten, der Realität gerecht zu werden. Ihre Entscheidung, keine dramatischen Bilder zu nehmen, sei der Grund, weshalb der Beitrag von dem angestammten Sendeplatz der Reihe „Deutschland unter Dächern“ um 20.15h vertrieben worden sei. Da sie nichts Spektakuläres zu bieten hatten, wäre ihr Beitrag von der Sendeleitung auf 22.15h verlagert worden und so unter Ausschluß der Öffentlichkeit gesendet worden.

Den angebotenen Einstieg, zum Vorwurf von Herrn Lambsdorff, daß der WDR in der Berichterstattung zu Rheinhausen angeheizt habe, sich zu äußern, verweigerte Johannes Kaul. Er wolle ganz einfach die Arbeit des WDR hierzu beschreiben. Allgemein würde die Berichterstattung des WDR immer dergestalt sein oder solle sein wie zu Rheinhausen. Nicht nur Spektakuläres, sondern auch Analyse, stillere Situationen oder Menschen ohne Megaphon sind Themen. Bei Rheinhausen gab es sicherlich einen Wechsel. Anfangs ermuntert von Landesregierung und Banner Politikern, die große Bereitschaft zeigten, sich zu äußern, freuten sich einige Redakteure über das Medienspektakel. Doch dann als die Politiker schweigsamer wurden, Arbeiter und Journalisten stoppen wollten, wurden einige Redakteure vorsichtiger, da sie Druck verspürten. Auf der anderen Seite mußten nun die Journalisten auf die Politiker, die abwimmelten, zugehen.

Für Klaus Helle, der zusammen mit Rainer Kommers einen Dokumentarfilm über Rheinhausen erstellt, war die Ausgangssituation eine andere, als die der Journalisten dieser Runde. Er hatte am 26.November die Nachricht von der Stillegung gehört, was ihn betroffen gemacht hatte, der nunmehr seit 1979 im Ruhrgebiet lebt und seit 1974 über das Ruhrgebiet Filme macht. Von Rheinhausen habe er nicht viel gekannt. Als er durch die leere Fußgängerzone ging und ein IG-Metall-Lautsprecherwagen zu einer Betriebsversammlung mobilisierte, habe er sich dann entschlossen, über den Arbeitskampf in Rheinhausen einen Film zu machen. Zunächst hätten sich Dokumentarfilmer aus dem Ruhrgebiet zusammengesetzt, woraus sich das Projekt von Korners und ihm ergeben habe.

Bei ihren Filmarbeiten wären sie des öfteren auf ein Gedränge von Journalisten gestoßen, bezeugte er die Annahme von Werner Ruzicka. Sie hätten sich auch manchmal entschlossen, nicht zu drehen, wenn eine Situation bereits von 3 oder 4 Teams aufgezeichnet worden wäre. Trotz dieser Medienpräsenz hätten sie jedoch am Schneidetisch eigene Bilder gesehen, die in den Medien nie öffentlich geworden seien, weil sie länger an Orten verharrt und dokumentiert hätten. So hätten sie etwa die Situation gefilmt, in der ein Arbeiter Franz Steinkühler als Mann zum Anfassen anging, was diesen offensichtlich irritierte. Gegenüber der Medienberichterstattung hätten sie sich sonst öfters entschieden, die Prominenz nicht zu zeigen.

Bevor von Auditorium und Podium der Begriff der Inszenierung korrigiert und über Parteilichkeit bzw. der Veröffentlichung der Telefonaufzeichnung Krommer/Kriwet diskutiert wurde, gab es Nachfragen an die Filmemacher Christian Berg und Michael Geyer, die während der Filmdiskussion nicht anwesend waren.

Ihre Reduktion auf die Margarethen-Siedlung und auf die älteren Kruppianer wurde kritisiert, da dadurch eine nicht repräsentative Proletarierhaltung dokumentiert sei. Als Christian Berg ausführte, daß die Konzentration auf die Älteren bedingt sei durch die Existenzangst der Jüngeren, sich vor der Kamera zu äußern, wurde mit Unverständnis reagiert, da man diese Realität im Film hätte erwähnt wissen wollen. Gleichfalls wurde nicht akzeptiert, daß nur über die menschliche Komponente, human tauch, für das Anliegen der Rheinhäuser beim Fernsehzuschauer Interesse gewonnen werden könne, wie Christian Berg behauptete. Gert Conradt bestimmte daraufhin die Aufgabe der Journalisten. Es sei an ihnen, Formen zu finden, um auch über Analysen diese Realität den Fernsehzuschauern zu vermitteln.

Theo Stegmann ging danach wieder auf die These der Diskussion ein, als er die Behauptung von Rainer Zimmermann korrigierte, daß der Fackelzug als Inszenierung anzusehen sei. Diese nächtliche Demonstration sei keinesfalls ausschließlich für die Presse gemacht worden. Den Umgang mit dem Telefonmitschnitt war er bereit, als eine inszenierte Aktion zu bezeichnen. Die Wende in die Diskussion brachte Georg Kellermann, der provokatorisch forderte, daß es mehr Inszenierung hätte geben sollen. Für ihn sei es klar, daß wenn man sein Anliegen öffentlich machen, in den Medien Widerhall finden wolle, man diese mit Bildern und Tönen beliefern müsse. Er verstünde nicht, weshalb dieses Tun durch den Begriff der Inszenierung ein negativer Beigeschmack gegeben werde. Rainer Zimmermann wies auf ein anderes inszeniertes Vorkommnis hin, das die Medien betrifft. Beim Gang in die Hauptverwaltung der Krupp AG war durch den Ansturm der Menge eine Glastür zerbrochen. Fernsehleuteforderten danach die Leute auf, nochmals durch die Tür zu drücken. Theo Stegmänn berichtete auch Abläufe, die zeitlich dadurch bestimmt waren, daß man sich eine Medienpräsenz erhoffte. Sie hätten etwa einmal auf das Eintreffen der Kameras gewartet und wären erst dann losmarschiert. Doch in den meisten Fällen bräuchten sie sowieso 4 Stunden zwischen Entschluß und Aktion, damit die Anlagen langsam abkühlen und so nicht zerstört werden. Einen anderen Aspekt benannte Christian Berg. Er sah in der Inszenierung das notwendige Gegenstück zur Verweigerung der Mächtigen.

Kritisch gegen die Medien gewandt wurde von Helmut Laakmann beschrieben, daß das Fernsehen mittels Schaubilder und Inserts das Anliegen der Politiker durchaus präsentiere, bereit sei, Komplexität anschaulich zu machen. Nur was passiert, wenn sie ihr Alternativmodell vorstellen? Auch Theo Stegmann fand es typisch, daß die Medien nach der Kanzlerrunde nicht mehr bereit waren, über ihren Kampf zu berichten. Sowohl das Resch-Gutachten, das der publizierten Annahme einer 100 Mio. DM-Verlustes widerspricht, wie auch ihr letzter 7-Tage-Streik war für die Medien kein Thema. Daraus entsteht natürlich die Frage, wie militant muß man sich zeigen, damit die Medien berichten. Gleiches beschrieb Hoot Herz als er auf eine WDR-live-Sendung von vor 14 Tagen verwies, in der nunmehr wieder behauptet wurde, daß man Arbeit finden könne. Hieraus aber eine Tendenz abzuleiten, widersprach Georg Kellermann. Die Sendung sei ein Mißgriff gewesen. Dennoch, daß kaum über den gegenwärtigen Stahlboom in den Medien etwas zu vernehmen sei, wohingegen das Abflauen des Marktes breitgetreten worden war, hatte für Helmut Laakmann charakteristische Züge. Auch seine Kritik an den bislang parteilichen Medienleuten, die wohl über die Aktionen berichtet hätten, nunmehr aber sich dem Thema, dem Alternativvorschlag der Belegschaft nicht mehr annehmen würden, weil sie sich dafür in die Materie einarbeiten müßten, blieb unwidersprochen.

Die kritisch angemerkte Verführbarkeit der Macher durch Aktionen und Bilder wurde von Christian Berg als normal und unproblematisch zurückgewiesen. Als Werner Ruzicka mit dem Hinweis auf die Berichterstattung über das Gladbecker Geiseldrama nachsetzte, wurde ihm wiederum von Christian Berg gekontert, indem er diese Entgleisung auf die Frage von Kontrolle und Verantwortlichkeit reduzierte.

Die Frage nach einem veränderten Medienverständnis bzw. Umgang mit den Medien beantwortete Theo Stegmann im Verweis auf den offenen Kanal und Video, sowie einer offensiveren Weise sich den Medien zuzuwenden.

Ein weiterer Punkt der die Diskussion länger bestimmte, war der Umgang mit dem Telefonmitschnitt. Johannes Kaul hatte beschrieben, daß der WDR-Redakteur letztlich nur abgemahnt worden sei, obwohl er unmittelbar nach Ausstrahlung fristlos hätte gekündigt werden sollen. Nachdem aus dem Publikum heraus behauptet worden war, daß dieser Druck auf den Redakteur alle Mitarbeiter habe treffen sollen, bestritt Johannes Kaul, daß ein solcher Akt für die Schere im Kopf der Leute verantwortlich gemacht werden könne. Rainer Zimmermann entfachte dann die Diskussion mit seinem Hinweis auf die strafrechtliche Komponente der Veröffentlichung. Seine Einschätzung der Veröffentlichung, der er keine Notwendigkeit zusprach, weil der Inhalt des Telefonats längst ohne Nennung der Quelle in zahlreiche Berichte über Rheinhausen eingeflossen gewesen sei, blieb unberücksichtigt. Georg Kellermann bezog eine grundsätzliche Haltung. Für ihn sei die Veröffentlichung dieses Tapes eine Verletzung der prinzipiell zu achtenden Intimsphäre des einzelnen. Nachdem andere darauf bestanden hatten, daß der Mitschnitt weniger ein Eingriff in die Intimsphäre darstelle, als vielmehr die Offenlegung von Macht, rückte er etwas von seiner grundsätzlichen Haltung ab. Bedenklich war für ihn aber immer noch die Wiedergabe im Fernsehen, weil hier die persönliche Stimme der Leute vernommen werden kann. In die sich grundsätzlich gebende Diskussion brachte dann Johannes Kaul etwas Bewegung. Den Unterschied, ob es ein Eingriff in den Bereich eines mächtigen Politikers oder eines machtlosen Bürgers sei, war er bereit nachzuvollziehen. Doch auch er sprach sich nachträglich gegen die Publikation des Bandes im Fernsehen aus, das ja bereits in der TAZ veröffentlicht worden war. Die nachträgliche Ausstrahlung im Fernsehen hätte nur noch einen Schauereffekt gehabt, der diesen Eingriff nicht rechtfertigen könne. Michael Geyer erweiterte den Argumentationsrahmen mit der Feststellung, daß der Inhalt des Bandes ein Stück verheimlichter Öffentlichkeit sei, weshalb er trotz seiner prinzipiellen Position zum Schutz der Intimsphäre, die Publikation dieses Bandes bejahe.

Abschließend definierte Georg Kellermann seine Aufgabe als Journalist, die nicht darin bestehe, den Kampf der Kruppianer bedingungslos zu unterstützen. Hierin fand er Zuspruch. Denn die Frage der Publikation sei eine Frage der Verhältnismäßigkeit sei eine der Frage, was passiert weiter. Daß die Gewerkschaften die Medien benützen müssen, was von den Mächtigen längst getan werde, wie die Journalisten bekundeten, war schließlich Konsens.

Anfügen konnte dem Theo Stegmann nur noch, daß die Medien erneut die Chance hätten, ihr Anliegen zu thematisieren, weil sie weiterkämpften und weil sie den Alternativplan nochmals präsentieren würden.