Extra

Schweden

Duisburger Filmwoche 11
10.11.1987

Podium: Carl Slättne (Regisseur), Jörgen Burberg (Vertreter des Svenska Institutets Stockholm), Peter Nestler (Regisseur)
Moderation: Bärbel Schröder
Protokoll: Michael Kwella

Protokoll

Das Interesse des Auditoriums zielte weniger auf eine Diskussion der im Laufe des Tages gezeigten Filme, als vielmehr auf Informationen zur Situation des schwedischen Dokumentarfilms. Angesichts dieses Bedürfnisses ist das vorliegende Protokoll im Nachhinein durch eine Befragung von Carl Slättne und Jörgen Burberg um einige Details ergänzt worden.

Die Auswahl des schwedischen Filmprogramms sei von dem Gastgeber, der AG Dokumentarfilm, getroffen worden; es seien Filme der letzten Jahre, ein „Schaufenster der Gegenwart“, das nicht unbedingt als typisch für den schwedischen Dokumentarfilm stehen könne. Eine schwedische Auswahl hätte viel leicht etwas anders ausgesehen, allerdings könne man nicht jeden Film im Ausland zeigen: Schweden sei ein Land mit einer hohen Kommunikationsdichte, bei manchen Filmen würden entsprechende Vorkenntnisse zum Problem einfach vorausgesetzt.

Die Krise des schwedischen Dokumentarfilms sei zur Zeit extrem groß. Seit zwanzig Jahren stünde das Fernsehen fast als einziger Auftraggeber zur Verfügung, das zwar formal als unabhängig gelte, dennoch staatlichen Einflüssen unterliege. „Sveriges Radio“ als Muttergesellschaft für Radio, Fernsehen und Bildungsfunk (Radio + TV), ist eine Aktiengesellschaft; Aktionäre sind „Folkrörelser“ (Volksbewegungen, etwa analog zu unseren „gesellschaftlich relevanten Gruppen“) wie Arbeitnehmerverbände der Arbeiter und Beamten, Arbeitgeberverbände, andere Massenmedien); es gibt einen Aufsichtsrat, dessen Vorsitzender ein von der Regierung bestellter Beamter ist. Finanziert wird das Fernsehen einzig über Gebühren der Zuschauer, Werbung ist verboten.

Grundsätzlich besteht ein Pluralitätsgebot, Filme dürfen weder parteilich noch parteiorientiert sein, sondern sie müßten „objektiv“ berichten; in letzter Zeit bestünde zunehmend die Verpflichtung zur Binnen-Pluralität in den einzelnen Beiträgen.

Filme, die Mißmut erregen, können eine „Anmälan“ (Anmeldung) z. B. durch Zuschauer beim „Radionämnden“ nach sich ziehen; dies ist ein Beirat, der dann im Nachhinein eine kritische Stellungnahme gegenüber dem Filmemacher abgeben kann (übrigens auch das Recht hat, sich ·vorab Sendungen anzuschauen, jedoch ohne sie verhindern zu können). Vordergründig betrachtet habe das Votum des Beirats keine Konsequenzen, doch de facto könne es eine Wiederholung des Films verhindern oder die Schwierigkeiten für einen Filmemacher erhöhen, einen neuen Film zu drehen.

Da es keine relativ breit angelegte Filmförderung wie in der BRD gäbe, sei für die Dokumentarfilm-Produktion eigentlich nur noch das „Svenska Filminstitutet“ (SFI) interessant. Ursprünglich sollte es bestimmte Garantiesummen für alle Film-Genres an andere Produzenten verteilen, inzwischen ist es selbst zum – neben dem Fernsehen größten – Filmproduzenten geworden, allerdings oft in Zusammenarbeit mit anderen Produzenten, da ca. 9/10 der Filme nur als Koproduktionen entstehen können. Die Gelder, die das SFI verteilt, kommen aus einer Abgabe für unbespielte Videokassetten und vor allem aus einer Kinokarten- Abgabe; etwa 80 % der in schwedischen Kinos gezeigten Filme kommen aus dem englischsprachigen Raum (in erster Linie USA, aber auch Großbritannien), so daß diese im wesentlichen dazu beitragen (selbst Brutalo-Filme), den schwedischen Film am Leben zu erhalten.

Filmemacher könnten beim SFI ein Exposé samt Kalkulation einreichen, eine Jury entscheide dann über die Vergabe der Mittel, doch diese würden selten ausreichen, um ein Filmvorhaben realisieren zu können. So sei „Ein Moment des Vergessens“ von Carl Slättne und Maria Bergom Larsson etwa knapp zur Hälfte vom SFI gefördert, zu knapp einem Drittel von der staatlichen Friedenslotterie und zu knapp einem Drittel vom schwedischen Fernsehen. Doch die meisten – auch wirklich guten – Filmemacher hätten Schwierigkeiten, eine Finanzierung ihrer Filme zu erreichen.

Ähnlich desolat sei die Verleihsituation. Zum einen gäbe es das „FilmCentrum“, einen Verleih der Filmemacher, bei dem auch Ingmar Bergmann frühe, eigenproduzierte Dokumentarfilm habe. Die Gründung dieses Verleihs sei eine Reaktion auf die Dokumentarfilm-Krise der sechziger Jahre, ausgelöst durch das Verschwinden kurzer Dokumentationen aus den Vorprogrammen des Kinos; die Kinobesitzer hätten diese stiefmütterlich behandelt (z.B. Vorführung bei noch eingeschaltetem Licht), so daß keine rechte Publikumsakzeptanz aufkommen konnte.

Zum anderen existiert der Verleih des SFI und als dritter wichtiger nichtgewerblicher „föreningsfilmo“ getragen von Organen der Arbeiterbewegung, der vor allem an Vereine, Schulen und Gewerkschaften ausleihe.

Doch insgesamt sei die nichtkommerzielle Auswertung zurückgegangen, es gäbe nur relativ wenige und zum Teil kleine Gruppen und Vereinigungen, die mit Film arbeiten würden; nur wenige „Folkets Bios“ (vergleichbar den Kommunalen Kinos bei uns) existieren in Schweden, außerdem nähme die Ausleihe von Videokassetten zu, so daß kein Film zum wirklichen Kassenschlager würde. Erschwerend: Beim „FilmCentrum“ müsse der Filmemacher eine (ihm zwar gehörende) Verleihkopie gratis deponieren, die bis zu 10.000.- DM kosten könne, denn das Fernsehen – eben Hauptauftraggeber – arbeite nicht mit normalen Filmkopien von 3200° Kelvin; verwendet würden solche mit 2800° Kelvin oder spezielle Lowcontrast-Kopien, ferner grundsätzlich nur getrennter Magnetton. Zwar verfüge des „FilmCentrum“ über einen eigenen Kopienfond, der sei jedoch sehr begrenzt.

Und schließlich gäbe es noch das „Bio 16“, eine Kooperationsmodell des SFI mit den Kommunen des Landes: eine Auswahl aus der Jahresproduktion, die dann als Paket durch die Kommunen zirkuliere. Insgesamt sei jedoch der Rückfluß aus dem Verleih sehr gering, dem Fernsehen käme somit beinahe ein Monopol zu, wobei der Umfang der Mittel auch bei ihm angesichts der geringen Bevölkerungszahl im Vergleich zur BRD eher sehr klein sei.

Dazu weise das Fernsehen eine ähnliche Tendenz wie in anderen Ländern auf: Früher habe es wesentlich mehr Dokumentarfilme präsentiert (auch relativ im Vergleich zur BRD), doch mittlerweile sei „Docutainment“ (Carl Slättne) angesagt, beispielsweise das dokumentierte „Abenteuer“.

Außerdem habe es jetzt gerade eine ein Jahr lang dauernde Strukturreform des Fernsehens gegeben. So gäbe es zwar nun wieder eine eigene Abteilung (ca. 10 Personen) ausschließlich für den Dokumentarfilm, doch früher wären es über die verschiedenen Ressorts verteilt erheblich mehr Mitarbeiter gewesen. Vor die Tür gesetzt habe man bei der Reform kaum jemanden, stattdessen wurde Filmemachern angeboten, alternativ kurze Magazin-Beiträge zu produzieren; Anderen, Festangestellten, wäre angeboten worden, vorzeitig in den Ruhestand zu gehen, während Jüngeren der Ausstieg mit einer Abfindung in Höhe eines Jahresgehalts schmackhaft gemacht worden wäre.

Zusätzlich sei die Umstrukturierung mit einer allgemeinen Paralyse einhergegangen; so mancher Sender-Mitarbeiter habe keine klaren Kriterien für Entscheidungen mehr gesehen, manch einer habe sich in seiner Position bedroht gefühlt, selbst heute mangele es noch zum Teil an eindeutigen Leitlinien – sicherlich keine günstige Situation, um wagemütige Entschlüsse zu treffen.

Einige Filmemacher „draußen“ würden zwar den Zusammenschluß proben, doch bislang noch ohne Erfolg. Viele arbeiteten inzwischen im Videobereich, beschäftigt mit Arbeiten für kommerzielle Firmen – Werbung, PR und ähnliches.

Insgesamt kämen so Trends zusammen, die auf ein Verschwinden des kritischengagierten Dokumentarfilms hinausliefen. Des weiteren gäbe es auch in Schweden den politischen Ruck ins Konservative, der natürlich ebenfalls ins Fernsehen reiche. Und: ein weiteres würde der Versuch bewirken, einen dritten, kommerziellen Fernsehkanal aufzubauen, durch den die Trivialisierung des Mediums weiter vorangetrieben werde.-