Protokoll
Zum Einstieg skizzierte Claire Doutriaux die Geschichte und Struktur des französischen Fernseh(satelliten)kanals la Sept, nachdem Dietrich Leder die anwesenden Diskutanten auf dem Podium vorgestellt und Thierry Garrel, den Leiter der Dokumentarfilmabteilung von la Sept, entschuldigt hatte.
Die Societe d’edition de programmes de television wurde 1986 eine Woche vor der Abwahl der sozialistischen Regierung als europäischen und Kulturkanal für den französischen Satelliten TDF 1 gegründet und wird von der jetzigen Regierung weitergeführt. Bis der Satellit in Betrieb genommen werden kann – voraussichtlich Ende 1988 –, wird das Programm von la Sept partiell über FR 3 in Frankreich terristisch ausgestrahlt. Derzeitig wird dieses zukünftige europäische und Kulturprogramm vorbereitet. Finanziert wird der Kanal über einen Verzicht des französischen Staates an der Mehrwertsteuer, die in der Fernsehgebühr für FR 3 und Antenne 2 enthalten ist. Mit dem voraussichtlichen Jahresetat von drei Millionen französischer Francs will man drei bis vier Stunden tägliches Programm produzieren (lassen), was aufgrund eines kleinen Apparats von maximal 100 Mitarbeitern bislang sind 55 Mitarbeiter beschäftigt – für umsetzbar erachtet wird. Das ausgestrahlte Programm soll durch drei bis vier Stunden Programm von FR 3 und Antenne 2 ergänzt werden. Zudem laufen Gespräche mit den bundesrepublikanischen öffentlich-rechtlichen Anstalten für die Installierung von Kooperationen. Mit dem ZDF besteht bereits ein Freundschaftsvertrag.
Das Programm von la Sept soll sich freihalten von Sport, Fernsehshows und den üblichen Nachrichtensendungen. Drei Programmbereiche, Fiktion (Spielfilm und Fernsehspiel), Dokumentarfilm und Musik, Theater, Tanz, werden die Säulen sein, was sich in der Struktur des Apparats ausdrückt. Diese drei Bereiche entwickeln ihren Programmablauf bzw. -vorhaben und stellen diese ein Mal monatlich dem Programmbeirat vor. Dieses Gremium ist in seiner Zusammensetzung Ausdruck des Ziels, ein europäisches und Kulturprogramm auszustrahlen. Neben Pierre Boulez und anderen französischen Künstlern, Schriftstellern und Wissenschaftlern haben dort Eckart Stein vom ZDF, Michael Kustow von Channel Four, Rossini von der Rai und Torrecinta vom schweizer Fernsehen (Genf) Sitz und Stimme.
Bislang wurden von la Sept drei Tagesvollprogramme über FR 3 ausgestrahlt.
Das erste Tagesvollprogramm mit von Michael Kustow präsentierten beispielhaften Produktionen. Am Pfingstmontag, den 8.Juni 1987, das von Eckart Stein redaktionell verantwortete 13 1/2-Stunden Programm „Berlin – Paris – Berlin“. Im Juli 1987 der Tag der europäischen Musik, als man aus den Darbietungen in Verona, Bayreuth, Aix-en-Provence, Salzburg und Glyndebourne ein Programm zusammenstellte. Diese Tagesvollprogramme wurden jüngst durch eine kürzere, wöchentlich zweimalige Ausstrahlung von la Sept-Programm über FR 3 abgelöst. Hier wurden mit Untertiteln, was la Sept zum Prinzip erhoben hat, in der Dokumentarfilmreihe „Leute aus Europa“ etwa von Hans-Joachim Bergmann „Die ewigen Schwestern“ oder von Volker Koepp „Leben und Weben in Wittstock“ ausgestrahlt. Daneben existiert die anthropologische Reihe „Oceanique“.
Die vorgestellten Programmausschnitte bezogen sich auf das zweite Tagesvollprogramm „Berlin-Paris-Berlin“, das unter der Leitung von Eckart Stein erarbeitet worden war. Die Resonanz des Publikums auf das am Pfingstmontag von mittags bis 2:00 nachts ausgestrahlte Programm war gering. Nur, so Claire Doutriaux, sehe la Sept nicht seine Aufgabe darin, hohe Einschaltquoten zu erlangen, sondern dem Publikum, das ihr Programm rezipiert, Anregung zu geben. In Zahlengefaßt heißt das für „Berlin-Paris-Berlin“: bei 3% bis 4% nachmittags und bis zu 14% bei Spielfilmen lag die Sehbeteiligung. Hingegen bei 75% die Zufriedenheitsquote des Publikums. Stolz sei man auch auf die guten Kritiken in ‚Le Monde’ und ‚Liberation‘ zu der Dokumentarfilmreihe „Leute aus Europa“.
Eckart Stein indizierte nach diesen informativen Erläuterungen von Claire Doutriaux die neue Qualität dieses Programms. Er führte aus, daß das „andere Fernsehen“ sich nicht nur in (Programm-)Einzelteilen ausweise, sondern in seinem Anspruch auf Grundsätzliches. Dies in dem 13stündigen Tagesprogramm unter Beweis gestellt zu haben, nahm er in Anspruch. Darin sei es möglich gewesen, einen mehrfachen Dialog auf unterschiedlichen Ebenen zu entfalten: französische und deutsche Juden, heute und vormals, Spielfilm zu Dokumentarfilm, etc. Aber auch andere Akzentuierungen in dem Liveteil mit Daniel Cohn-Bendit oder im Nachrichtenteil, den Philippe Grandrieux gestaltete.
Die französische Etablierung dieses europäischen und Kulturfernsehens Ia Sept beschrieb er als ein ‚Kind des schlechten Gewissens‘ derer, die das (französische) öffentliche Fernsehen ausverkauft hatten. Er bewertete es gleichfalls wie Channel Four als Feigenblatt und vermutete für die BRD ähnliche zukünftige Abläufe. über den mehrfachen Hinweis auf eine Darstellung des Satellitenfernsehens im Wirtschaftsteil der ‚Zeit‘ vom 13.11.1987 plaidoyierte er für ein öffentlich-rechtlich organisiertes Satellitenfernsehen, das dem privaten etwas entgegenzuhalten habe. Den Freundschaftsvertrag des ZDF mit la Sept war ihm ein Ansatzpunkt für diese Auseinandersetzung; selbst als er beschrieb, daß die Privatisierung von Channel Four eine Entscheidung über die Direktion von La Sept anstünde und die Realisierung von 3SAT nicht nur technisch von Arianestart, sondern auch von innenpolitischen Interessen und Kräften abhinge. Daß die Franzosen über la Sept großzügig das Europäische formulieren, während die BRD Sender, ORF und SRG sich auf Deutschsprachiges begrenzen, war ihm eine Randnotiz wert in seiner Fürsprache für die Entfaltung eigener Interessen in der machtpolitisch bestimmten Auseinandersetzung zukünftigen (Satelliten-)Fernsehens, das er inhaltlich keineswegs eurozentristisch bestimmt wissen wollte, und verwies auf das gemeinsame Werkstattprogramm von la Sept, Channel Four und 3SAT. Ein internationales Programm soll über die finanzielle Beteiligung in Höhe von einer Million DM. von jeder Anstalt präsentiert werden, das Regisseure aus der 3.Welt erstellen sollen. Hierfür wurden aktuell zehn junge Filmemacher aus Südafrika verpflichtet.
Für diesen Entwurf eines zukünftigen anderen Fernsehens verlangte Dietrich Leder die konkreten politisch-gesellschaftlichen Bedingungen, und er fragte nach dem spezifisch Anderen im vorgestellten Programmausschnitt.
Jörg Peter Feurich reduzierte denn die hoffnungsvollen Bekundungen von Eckart Stein. Für ihn ist ein anderes Fernsehen erstmals nicht vorstellbar zu realisieren. Selbst was die Ausstrahlung eines anderen Fernsehprogramms betrifft, zeigte er sich skeptisch. Denn in der Bestimmung von la Sept als Kulturkanal ist ein Kulturbegriff einbeschrieben, der vorgegeben ist und im Programm einklagbar sei. Angesichts der Wandlungen dessen, was man im Kulturbegriff faßt, war ihm die Entwicklung nicht bestimmbar. Die positive Aufnahme des gezeigten Ausschnittes von „Berlin-Paris-Berlin“, eine 3SAT-übernahme, dämpfte er, indem er darauf verwies, daß die Vorstellung einer 13stündigen Fernsehrezeption etwas Anderes sei, als die relativ kurze Präsentation auf der Kinoleinwand. Auch die Arbeit von la Sept sah er weniger zukunftsweisend bei allem Glücksgefühl. Begrenze sie doch die (kulturelle) Arbeit der anderen französischen öffentlichen Anstalten FR 3 und Antenne 2.
Eloquent griff Eckart Stein diese skeptische Haltung an und verteidigte seine Haltung mit der Sentenz, daß es nicht auf ein ungebrochenes Glücksgefühl ankomme, sondern auf ein gebrochenes Expansionsbestreben der gegenläufigen Interessenqruppen. Natürlich wisse auch er um die Gefahren. Die drei Länder bzw. Sender (la Sept, Channel Four, 3SAT) könnten ein schreckliches Programm zusammenfügen; doch er sehe in den Qualitäten dieser Chancen. Zudem stehe neben dem gebrochenen Verhältnis der Deutschen zur Kultur, worin Gefahren liegen, das ganz andere französische Kulturverständnis.
Gabi Hübner-Voss unterstützte Eckart Stein in seinem Ansinnen, darüber zu reden, wie es anders sein könnte und wandte sich gegen die Skepsis, die Gefahren in Vordergrund stellt, obzwar sie im NW-Mediengesetz durchaus Gefährdungen erkenne. Sie sprach sich für die Einrichtung von Werkstätten aus, um nicht nur redaktionell, sondern in der Produktion Zusammenhänge schaffen zu können, die eine kontinuierliche Arbeit ermöglichen. Denn es könne nicht darum gehen, über Einzelbeiträge ein anderes Programm zu begründen. Aufgabe müßte es sein, ein andres Programm, das über ein anderes Verständnis von Filmemachen, Filmarbeit getragen ist, hervorzubringen.
Diesen Einwänden, daß Kontinuität nicht gewahrt sei, widersprach Claire Doutriaux. Die Themen würden bei la Sept von allen drei Sparten für etliche Sendetage entwickelt, d.h. Projekte nicht Einzelbeiträge würden für die Ausstrahlung ausgewählt.
Günter Hörmann versuchte daraufhin, die Diskussion auf Konkretes hinzulenken, ohne den utopischen Entwurf zu diskreditieren. Unerheblich unterscheide sich das vorgestellte Programm vom gewohnten. Doch diese Unerheblichkeit, das Wenige bestimme das Andere. Die Interviewten hatten Zeit gehabt zum Ausreden, der Bildausschnitt verbände sich mit dem Gesagten, historisches Material wäre nicht bloßes Zitat und das News-Material wäre nicht zum Schweigen gebracht worden. Und bezogen auf die Ausführungen von Gabi Hübner-Voss bezichtigte er die Dokumentarfilmer, bislang auch nicht für ein anderes Arbeiten, sondern lediglich für den Verkauf ihrer Filme im Fernsehen gestritten zu haben. Dem schloß sich Jörg Peter Feurich an, indem er den Dokumentarfilmern vorwarf, nicht hinreichend für das Kino gekämpft zu haben und sich zu bescheiden, ihre Filme als Teil eines Programms dem Fernsehen anzubieten, ohne für ein anderes Fernsehen, das eine Zusammenarbeit von Programmplanern und Dokumentarfilmern erbringen könnte, einzutreten. Daß das Fernsehen in Beiträgen denke und nicht in Programmen, war die Replik von Christoph Hübner.
In diese Auseinandersetzung um Utopie und Gefahr oder Zukunft und gegenwärtiger Verfaßtheit des Fernsehens platzte eine Zuhörerin mit der Frage, wer denn ein Gesamtprogramm von 13 Stunden Dauer vollständig anschauen solle?
Claire Doutriaux korrigierte diesen Eindruck, daß la Sept nur in diesen Zeitrahmen arbeite. Diese ersten Tagesvollprogramme seien als Ereignis gedacht gewesen und man habe gewußt, daß diese vor allem von professionell Interessierten geschaut würden. Auch Eckart Stein drängte die Vorstellung zur Seite, daß sich lediglich dem Zuschauer, der „Berlin-Paris-Berlin“ vollständig gesehen habe, die neuen Qualitäten erschlossen hätten. In durchaus kurzen Abständen wäre die Qualität des Dialogs sichtbar geworden. Auch die Vorstellung von einem anderen Fragesteller eingebracht, daß die British Filmworkshops mit la Sept oder 3SAT vergleichbar seien, wurde von ihm korrigiert. Diese Werkstätten seien nur ein Teil von Channel Four und ein Resultat anderer Kräfte in Großbritannien, die für eine Regionalisierung gegen das Zentrum London angetreten waren; von daher auch auf die BRD nicht übertragbar seien. Doch solche Annahmen und Skepsis gegenüber dem Entwurf eines anderen Fernsehens, den Eckart Stein vehement vertrat, bestimmten den weiteren Diskussionsverlauf.
Erneut kam Gabi Hübner-Voss auf die NW-Filmförderung zu sprechen. Sie meinte, daß der Vorwurf des Provinzialismus, daß keine großen Themen angegangen werden, gegen die Filmförderung gerichtet falsch sei, weil sich große Themen aus kleinen ergäben. So wie der Zuschauer aus kleinen erkennbaren Zusammenhängen aus dem Gesamtprogramm sich seine Kontexte kreiert.
Gegen die Vorstellung, daß jemand außer „festangestellten Zuschauern“ solch ein Gesamtprogramm sehen würde, polemisierte Jörg Peter Feurich, um die Diskussion· auf ein intelligent gemachtes nationales Gebrauchsfernsehen zu lenken, weg von den großangelegten internationalen Projekten. Und immer wieder, so auch durch Fosco Dubini, wurde die euphemistische Darstellung des Entwurfs von Eckart Stein kritisiert. Für Fosco Dubini zeigte sich in dem vorgestellten Entwurf und dem präsentierten Programmausschnitt lediglich ein anderes Programm, aber kein „anderes Fernsehen“. Wie auch für Werner Ruzicka war ihm dieses Programm gleichfalls eines der Zerstreuung, wenn auch intelligenter gemacht. Eingewendet wurde auch, daß das Vorgestellte nur als Spielwiese eine Chance habe und das Erreichte, la Sept, ebenfalls der Gefahr der Kommerzialisierung ausgeliefert sei. Claire Doutriaux führte das bislang Existierende gegen die Gefahren, ohne diese zu verneinen. Auch erwähnte sie, daß bei la Sept keine enormen Widerstände gegen Werbung auszumachen seien.
Und Eckart Stein fragte polemisch gegen diese Bedenken gerichtet, was wir investieren, angesichts des Investitionsschubs der Privaten. Natürlich seien Kommunikationsräume Machträume und la Sept oder 3SAT nur Nischen, in die jedoch von Machtlosen Steine gesetzt werden können. Diesen Steinschen Entwurf der international vernetzten Nischen brachte Gabi Hübner-Voss wiederum in Zusammenhang mit der regionalen Filmarbeit in NW. Sie wies darauf hin, daß Filme aus dem Ruhrgebiet, mit ihrem betont regionalen Bezug, für Bergleute aus Amerika durchaus von Belang seien, daß regionale Probleme im Regionalen keine Antwort erhielten und eben dieser (notwendige) Austausch über das (andere) Fernsehen ermöglicht werden könnte. Auch Bertram Rotermund von der Medienwerkstatt Freiburg plaidierte für das präsentierte Projekt, das es einfach anarchistisch zu nutzen gelte.
Und weiter wurde kritisiert, daß die erläuterten Vorstellungen nicht die (kleinen) Dokumentarfilmer umfassen würden, daß die Mächtigen sich holen werden, was sie wollen. Stein setzte nochmals dagegen, daß es um Chancen ginge, die das Mitmachen begründen. Selbst der Einwand, daß die Internationalität des Projektes sicherlich eine „Euronorm“ interesselosen Programm bedinge, focht Eckart Stein und Claire Doutriaux nicht an. Denn gerade das Spezifische würde s ich durchsetzen, würde von la Sept gewünscht, widersprach sie. Schließlich, so Eckart Stein, solle ja kein „Koallitionsfernsehen“ entstehen. Auch Günter Hörmann setzte noch einmal gegen die ewig Skeptischen nach. Die Nachteile werden sich ohne Zutun einstellen, sie gelte es nicht zu prognostizieren. Nachzufragen sei, wie Freiräume zu nutzen sind. Wie in einem europaweiten Programm zwei europäische Regionen vorgestellt werden könne, wie Nebensachen zu Hauptsachen gemacht werden können. Und all diese Überlegungen sollten auch dann erbracht werden, wenn es nur ein Programm für Minderheiten werden kann . Denn „die Radikalität wäre das besonders“.