Extra

Blicke von außen

Duisburger Filmwoche 11
15.11.1987

Podium: Andreas Seet, Juri Lysjatow
Moderation: Bertram Rotermund
Protokoll: Toni Weber

Ist es einfach, jung zu sein (UDSSR, Juris Podniek)

Besuch (UDSSR, Andreas Seet)

Auftrag (UDSSR, Juri Lysjatow)

Protokoll

Zunächst bedankte sich Betram Rotermund bei Ilona Ribowski-Bruwer für die simultane Übersetzung der gezeigten Filme. Das Publikum hatte ihr in einem längeren Applaus dafür gedankt, daß sie spontan eingesprungen war und ihm so ermöglichte, die vorgestellte Filme zu verstehen. Daran anschließend beschrieb Batram Rotermund die Qualität von „Ist es einfach, jung zu sein?“. Erst der Hinweis, auf die beiden anwesenden Regiseure von „Besuch“ und „Auftrag“ unterbrach ihn in seinem Lob des Films.

Den Regisseuren von „Besuch“ und „Auftrag“ bescheinigte er handwerkliches Geschick und lobte ihre Experimentierfreudigkeit, die er in den Filmen wahrgenommen hatte. Zugleich sprach er ihnen, analog zu Medvedkins Kinozug die Funktion zu, am Umbau der Gesellschaft mitzuwirken.Ihn interessierte daher, wo die Filme bislang gezeigt worden waren. Diese längeren Ausführungen seinerseits waren erforderlich, da das Filmgespräch im Kinosaal stattfand, was offensichtlich für spontane Fragen aus dem Publikum hemmend war. Juri Lysjatow beantwortete die Frage, gedolmetscht von Ilona Ribowski-Bruwer, knapp. „Ist es einfach, jung zu sein?“ sei sowohl im Fernsehen als auch in Kinos präsentiert worden. „Auftrag“ und „Besuch“ seien nur im Kino gezeigt worden.

Die Annahme eines Zuschauers, daß die Filme fürs Ausland produziert wären, da sie das Leben in Rußland zeigen würden, wie es wäre und daher im Land selber niemanden interessieren könnte, verblüffte Andreas Seet. Hier in der Bundesrepublik würden doch auch Filme über spezifische Probleme und die Realität der BRD gemacht und gezeigt. Insofern wären auch ihre Filme zuerst Filme für die Menschen in der Sowjetunion. Juri Lysjatow erweiterte die Äußerung von Seet, indem er erzählte, daß er darüber verwundert gewesen wäre, daß ihre Filme vom Verband der Filmschaffenden für eine Vorführung im Ausland ausgesucht worden waren. Nunmehr habe er aber bemerkt, daß es wichtig sei, auch sie im Ausland zu zeigen.

Gefragt wurde auch, ob Perestroika zu einer Veränderung der Filmarbeit geführt habe, ob der Film „Auftrag“ gemeinsam mit den Kolchosbauern erstellt worden sei und wie das Kinopublikum in Minsk den Film aufgenommen habe. Juri Lysjatow erläuterte daraufhin, daß er den Film aufgrund eines Treatments erstellt habe. Er selbst habe lediglich zwei Vorführungen vor seiner Abreise miterlebt, bei denen der Film geteilte Aufnahme gefunden hatte. Filme wie „Auftrag“ mögen bewirken, so seine Hoffnung, daß die Menschen aufhören zu schweigen, daß sie darüber sprechen, was sie wollen. Nur was sein wird, was der Film dabei bewirken wird, kann man noch nicht sagen. Das muß die Zukunft erweisen.

Der zirka zehn Jahre alte Film „Besuch“ von Andreas Seet über Tallin verwunderte wegen seiner beißenden Kritik an der Stadt, dem Bau von Trabantenstädten. Seet führte daraufhin aus, daß nicht alle Filme in der gesamten Sowjetunion gezeigt werden, sondern oft nur in der jeweiligen Republik. Sein Film habe Schwierigkeiten beim Verleih gehabt, sei lediglich ein paar Mal im Estland gezeigt worden, weil der Film damals als zu kritisch galt, was nicht erwünscht war. Im Estland sei der Film gut aufgenommen worden, wenn auch die Esten selbst enttäuscht waren, weil sie ein Selbstportrait erwartet hätten, aber die Hälfte der im Film gezeigten Menschen keine Esten sind . Die Darstellungsweise des Films spitzte eine Zuschauerin in der Frage zu, ob „8esuch“ sich nicht gegen die Zugereisten ausspreche, was Andreas Seet bejahte. Aufgefallen war auch, daß der einzige O-Ton des Films einen Mann zu Wort kommen läßt, der behauptet, daß das Johannisfest auf dem Land noch richtig gefeiert werden würde. Seine Haltung zu dem Fest beschrieb Andreas Seet mit der Erläuterung, daß es für Esten zwei bedeutende Festtage im Jahr gebe, Weihnachten und das Johannisfest, welches der national en Selbstvergewisserung diene. Daher müsse es auch nicht weiter im Film erklärt werden, da dieser ja zunächst für die Menschen im Land gemacht sei.

Juri Lysjatow beschrieb die Kinopraxis in der Sowjetunion auf die Frage, ob die Länge der Filme für ein Kinoabspiel nicht hinderlich sei, ob die Kinoauswertung von Dokumentarfilmen schon immer üblich gewesen sei oder eine durch Perestroika bedingte neue Praxis sei. Da es nur wenige Dokumentarfilmkinos gebe und in den anderen Kinos pro Tag nur ein Dokumentarfilm gezeigt werde, hätten es längere Dokumentarfilme schwer. Jedoch, es sei Praxis, einen kurzen Dokumentarfilm vor jedem Spielfilm zu zeigen.

Zum Abschluß des Filmgesprächs formulierte Bertram Rotermund seinen Dank an die beiden Regisseure, indem er Gabi Hübner-Voss‘ Grußadresse aufgriff, den sowjetischen Kollegen vom hiesigen Interesse an ihren Filmen zu berichten. Die Funktion der gezeigten Filme, Menschen Stimme zu geben und eingreifen zu wollen, parallelisierte er mit der Intention der Duisburger Filmwoche und plaidoyierte tür eine Fortsetzung des Austausches. Aus dem direkten Umgang, der die gezeigten Filme für ihn bestimme , könnten wir, die wir von Bildern durch die Medien überschüttet sind, lernen.