Film

585 Kilohertz
von Heiko Schier
DE 1986 | 60 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 10
09.11.1986

Diskussion
Podium: Heiko Schier
Moderation: Werner Ružička
Protokoll: Jochen Baier

Schlagworte

Protokoll

Konsens war, die drei Filme nacheinander – in umgekehrter Reihenfolge ihrer Vorführung – zu diskutieren.

Werner Ruzicka stellte zunächst als Zusammenhang aller drei Filme fest, sie alle befaßten sich mitmenschlicher Topographie, befaßten sich mit Orten, mit Blicken auf diese Orte und mit der jeweiligen Fremdheit des Blicks. Der fremde Blick, den „Naua Huni“ auf das Ruhrgebiet werfe insbesondere, könne hier – im Ruhrgebiet – sicher als Provokation verstanden werden. Auf die Frage, nach welchen Kriterien die Bilder ausgesucht wurden, die den Indianern in dem Film „Naua Huni“ vorgeführt wurden, brachte B. Keifenheim 2 Auswahlkriterien:

1. Das Bild vom weißen Mann, das die Indianer hatten. In diesem Bild spiele das Metall die Hauptrolle.

2. Vergleichbare Umfeldstrukturen: Dorf am Fluß/ Stadt am Fluß.

Das Metall habe bei den Vorführungen immer jeweils am meisten ausgelöst.

Daß sie mit diesen Filmen zu den Indianern gegangen seien, habe seinen Grund einfach in der Nachfrage der Indianer nach einigen Bildern von der Heimat der Ethnologen gehabt – sie arbeiteten bereits längere Zeit als Ethnologen bei diesem Stamm.

Der Stamm selbst lebe isoliert, ohne Kenntnis televisionärer Bilder, im Grenzgebiet zwischen Peru und Brasilien, wo die einzigen „weißen“ Kontakte in denen zu einer Siedlerfamilie, zu einem Militärposten, zu einer kirchlichen Missionsstation, die das Missionieren inzwischen aufgegeben habe und eben zu den Ethnologen Keifenheim und Deshayes beständen. Die Kontakte der Indianer zur Außenwelt beschrieb Keifenheim auf die zweifelnd formulierte Nachfrage einer Diskutantin hin als äußerst sporadische Tauschaktionen: Gegen Abfallprodukte ihrer eigenen Kultur (Nabelschweinfelle) tauschten sie Kleidung, Macheten, Töpfe. Sie beschränkten sich bei solchen Tauschaktionen auf für ihre Zwecke Nützliches. So hätten sie z.B. Gewehre, die ihnen als vorteilhaft für die Jagd angeboten worden seien, wieder verschrottet, als sie feststellten, daß ihre angestammte Form der Jagd (Tierstimmenimitation) den Bedingungen des Urwalds (z.B.: eingeschränktes Schießfeld) adäquater war als laute Gewehre, die nicht treffen, aber zur Flucht der Beute führen.

Auf W.Ruzickas Frage, ob denn die Kleider der Weißen für die Indianer, die sie annähmen, nicht eine zeichenhafte Bedeutung hätten, wies B. Keifenheim auf eine Änderung des Symbolcharakters bei der interkulturellen Wanderung hin: Die Indianer nähmen die Werkzeuge, nicht aber die Philosophie. Trotz aller Betonung des fremden Blicks, wandte Ruzickas weiter ein, trotz dessen Beibehaltung, sei ihm doch der Stolz aufgefallen, mit dem die Filmmacher in „Naua Huni“ erstmals „Bildfreie“ gezeigt hätten.

Einige weitere Diskussionsbeiträge vermuteten, hieran anknüpfend, Keifenheim/ Deshayes hätten womöglich eine geheime Indianerseele idealisieren wollen, einen archaischen Modus gegen einen industrialisierten.

Andere Beiträge bezogen sich auf die Auswahl der den Indianern gezeigten Bilder von Ruhrgebiet und Bergbau. An den selbst mythologischen Gehalt dieser Bilder wurde erinnert, an die Bergbaumythologie der frühen Industrialisierung. Eine Diskussionsteilnehmerin spitzte diese Fragen zu mit der Bemerkung, diese Bilder des Ruhrgebiets bisher selbst nur in Filmen gesehen zu haben. Metall bezeichne, meinte W. Ruzicka bezogen auf „Naua Hunis“ Bilder vom Ruhrgebiet, in der Tat eine selbst bereits archaische Form von Arbeit, die im Niedergang sich befinde; womöglich seien inzwischen Menschen an Bildschirmarbeitsplätzen ein zeitgemäßes Bild.

Dennoch, ergänzte eine andere Diskussionsteilnehmerin, basiere auch diese zeitgemäße Form von Arbeit auf dem Charakteristikum der lndustriegesellschaft, nämlich: Disziplin und Knochenarbeit, welche diesen Indianern völlig fremd seien.

Hier einen Dialog geführt zu haben, sei das eigentlich Neue an „Naua Huni“, erklärte Christoph Hübner mit Blick auf andere ethnologische Filme, die beständig unter Verwendung der Indianer über die Weißen monologisierten.

Ein genereller Kolonialismusvorwurf gegen den Film sah keinerlei Unterschied zwischen derlei Dialog und früherem Monolog.

Ungleich durch vorher geklärte Machtverteilung, schockierend durch Bilder von der Zivilisation der Weißen Herren, die erschrecken sollen, verfolge der Film kolonialistische Absicht, so wurde pointiert geäußert.

Daß er sanft daherkomme, mache “Naua Huni“ noch beklemmender.

Den Kolonialismusvorwurf, der sich ebenso auf die Annahme stützte, durch Darstellung der Reichtümer der Weißen würden – in diesem bestrittenen Dialog – Bedürfnisse geweckt, mithin würden die Indianer überrumpelt, konterte Barbara Keifenheim mit der Bemerkung, hinter der diesem Vorwurf zugrundeliegenden Haltung stehe ebenso kolonialistisches Menschenbild: Als könne man die Indianer schocken durch diese Bilder, als seien sie derart unselbständig, daß einige Bilder schon Bedürfnisse wecken könnten.

Die Auseinandersetzung über die Ethnologen, die – wie ein Diskutant sie sehr dezidiert pauschalierte – wie schon lange klar sei, die Totengräber jener Kulturen seien (was mache es Sinn, Bilder hinzubringen und zu lauschen, was ‚der Wilde‘ sage?), konnte nicht mehr fortgesetzt werden, nachdem Axel Reisch, Essen, nachhaltig als „zivilisierter Eingeborener“ (Reisch) sich – neudeutsch (semantisch und pragmatisch) – einbrachte.

Über einige Vermittlungsversuche hinweg, die ihn nach eigenem Bekunden nicht für Pfennigsbeträge interessierten, setzte Reisch durch, daß trotz offener Auseinandersetzung über „Naua Huni“ seine Äußerungen über Bosshard/Schrootens „Eine Stadt verliert die Fassung“ gehört wurden: Der Film sei eine berauschende Zumutung, die dem ganzen hier versammelten Podium nicht angemessen sei, denn „hier wird ja nur gewichst.“

Pepe Danquarts Bitte um Mäßigung und Fortsetzung der soeben begonnenen scharfen Debatte, mit dem Ziel einer argumentativen Klärung der wechselseitigen Kolonialismusvorwürfe, konterte Reisch mit der – teils Protest, größtenteils Sprachlosigkeit auslösenden – Bemerkung, er habe keine Lust, den ganzen Abend über irgendwelche Tiere zu reden, die er nicht kenne.

Angela Haardt zog daraufhin ihre Frage an Keifenheim/ Deshayes von der Diskussion zurück mit dem Hinweis, sie ziehe es vor, ihre Fragen fortan im privaten Kreis zu stellen.

Reisch setzte sein Statement fort, wobei er besonderen Wert auf die Feststellung legte, Bosshard/ Schrootens Film habe permanent kopuliert. Ohne nähere Einlassungen zum Charakter dieses Aktes im Film kritisierte Reisch, der Film zeige andererseits Dinge, die in seinem – Reischs – Leben nicht vorkämen. Schrooten verstand die Frage als Nachfrage zum Thema „Ruhrgebiet“ – dem Gegenstand des Films – und gab an, sich in der Auswahl der Motive nicht die größte Mühe gegeben zu haben: Was der Film zeige, könne man tagtäglich an Ort und Stelle sehen.

Bosshard erweiterte das Statement seines Mitautoren um die These, das Agentenkollektiv sei in seiner Arbeit nach methodischer Strenge verfahren: Zunächst sei – als Ausgangspunkt – Duisburg als Bühnenbild zu verstehen, gebildet aus Schimanski, Thyssen, Krupp und anderen Größen. Die Filmmacher hätten alsdann in wissenschaftlich stringenter Weise dieses Bühnenbild abgefahren auf der Suche nach Leben. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an die methodische Verfahrensweise, gesellschaftliche Entwicklungen in „Scenarios“ abzubilden. Erst vor diesem Hintergrund seien sie zur Theoriebildung vorgeschritten. Die polit-ökonomische Analyse sei dem Film nicht etwa vorausgegangen, sondern erst aufgrund der beobachtenden Suche zustandegekommen.

Eben dies stellte ein Zuschauer in einer ausführlichen Kritik in Frage: Die Bilder, die Bosshard/ Schrooten zeigten, versuche ihr Kommentartext in ironischer Weise zu erklären. Dabei bedienten sich die Autoren eines Postulats, das sie nicht darstellten. Von diesem nicht dargestellten Postulat, nicht von einer thematischen oder methodischen Entwicklung, lebe der Film. Insofern sei “Eine Stadt verliert die Fassung“ in sich völlig widerspruchsfrei; insofern aber auch gescheitert.

Schrootens Gegenrede, jedes Bild, das sie benutzt hätten, bestätige ihre These – wenn eine Theorie richtig sei, seien es auch die Bilder, bestätigte wiederum die Kritik des Zuschauers. In erneuter Gegenrede stellte er es als wesentliches Manko des Films heraus, daß dieser einer Konfrontation der Theorie mit den Bildern nicht sich stelle.

Bosshard widersprach: Der Film sei gerade der Versuch einer permanenten Konfrontation. In seinen 12 Episoden beschreibe und behaupte er eine Theorie und beschreibe er eine Wirklichkeit, dies ich ebenso behaupte. Diese Gegenüberstellung gründe in dem systematischen Versuch, Theorie und Wirklichkeit zu konfrontieren. Theorie und namentlich der perennierende Widerspruch verführen hier nicht implizit, sondern im Gegenteil explizit – erst aus bewußter Konfrontation schließlich sei politisches Bewußtsein zu schlagen.

Zwischen Aphorismus und Kalauer, wo Werner Ruzicka den Kommentartext – weniger ansprüchlich – angesiedelt sehen wollte, hätten Bosshard/ Schrooten eine kalte Balance wohl gefunden. Angesichts der Beliebigkeit, mit der die Bilder aussortiert seien, sei diese Kälte theoretischen Scheins allerdings nicht durch Bilder aufgefangen. Ruzicka vermutete, die Autoren hätten das Medium Film zu wenig ernst genommen.

Dieses Statement nahm wiederum Axel Reisch zum Anlaß, Bosshard/Schrooten aufzufordern, künftig das Filmemachen sein zu lassen: Ihr erster Film in und über Duisburg (“… knapp verfilmt“) sei noch irgendwie gut gewesen, inzwischen aber werde es zum Ritual. Im übrigen fehlte ihm in Bosshard/Schrootens Film das, was das Leben hier lebenswert mache – das komme nicht vor.

Bosshard antwortete hierauf mit einer an der Szenenliste des Films orientierten Aufzählung von Beispielen des Lebens, wie sie im Film vorkamen. Jede Episode zeige Bilder, die eine starke Identifikation trügen, die einer vitalen Auseinandersetzung entstammten.

Gegenrede Reisch: Aber weder er selbst noch Bosshard selbst kämen in dieser Szenenliste vor.

Schrooten verwies die hier sich anbahnende Konfrontation in den Bereich der Komik: Daß man sich ausbreiten und spreizen müsse, um als ehrlich zu gelten – auch gegen diesen individualistischen Authentizitätsanspruch richte sich ihr Film. Ihre Absicht sei diesbezüglich ein bewußter Gegenentwurf gewesen. Deshalb auch hätten sie auf Entwürfe kollektiver Identität zurückgegriffen: das kollektive Subjekt der Kulturrevolution z.B.

Das Bizarre, das im Ruhrgebiet der nach industriellen Sinnsuche recht eigentlich das Normale sei, obwohl dies Bizarre von denen, die im Ruhrgebiet leben und einen Sinn in ihm suchten, nicht wahrgenommen werde, führte zu einer Diskussion der formalen Zumutung, die der Bosshard/Schrooten-FiIm nach Ansicht einiger Diskussionsteilnehmer darstellte.

Die Notwendigkeit, die Bilder aus der Wirklichkeit zu befreien, beide – Bilder und Wirklichkeit – einander zu distanzieren, wurde von einer Diskussionsteilnehmerin zustimmend hervorgehoben.

Wobei allerdings, wie W.Ruzicka zu bedenken gab, Bosshards und Schrootens Bilder so bewußt improvisiert erschienen, daß sie automatisch mit Bedeutsamkeit sich laden.

Sehr bewußt, so stimmten Bosshard und Schrooten diesen Statements zu, hätten sie die Kameraarbeit anhand einer Vernunft abgestimmt, die allenfalls dem Spielfilm noch eigen sei, nachdem die Dokumentaristen sie preisgegeben hätten. Der dramaturgische Aufbau gehe dabei von der Haltlosigkeit des Themas selbst aus. Die Kamera verfahre suchend und erstelle die Bilder, bevor die Geschichte entwickelt werde.

Diese mehrfache Volte hielt freilich Ruzicka für eine bloße Simulation, sei doch ein ungerichteter Blick, wie Bosshard/Schrooten ihn für sich proklamierten, ein Produkt schierer Künstlichkeit.

Auch die Grundlage des Blicks auf die bizarren Formen nachindustrieller Sinnsuche blieb als These nicht unwidersprochen. Ein Zuschauer kritisierte die Mystifikation des Arbeitsbegriffs, die er in Bosshards und Schrootens Reklamation des Begriffs vom Sinnvakuum einzig für die Phase nach dem Verlust der Erwerbsarbeit sah.

Privatheil der Sinnsuche mit allen bizarren Ausprägungen habe innerhalb der Arbeiterbewegung durchaus Tradition – aufgrund schon des übermächtigen Drucks sinnentleerter Erwerbsarbeit.