Extra

Heimat – deine Filme. Das Ruhrgebiet in den Medien

Duisburger Filmwoche 8
07.11.1984

Podium: Josef Krings (Oberbürgermeister von Duisburg), Jürgen Linde (Oberstadtdirektor von Gelsenkirchen), Gabriele Voss (Filmemacherin, Witten), Robert Hartmann (Filmemacher, Gelsenkirchen), Bernd Schadewald (Filmemacher, Köln), Rolf Buttler (WDR-Landesstudio, Dortmund)
Moderation: Hans Janke
Protokoll: Garda Meuer

Protokoll

Über ein schwieriges Verhältnis wollte man sprechen und dabei nicht die Stationen einer „chronique scandaleuse“ abhaken; über ein gestörtes Verhältnis wollte man reden, dabei Toleranz und Kooperationsbereitschaft zeigen – kurz, die lange Diskussion um das Abbild des Ruhrgebiets in den Medien, das Eigenbild und das Fremdbild sollte an diesem Abend auf ein neues Niveau gehoben werden. Die Einlösung dieses Anspruchs gestaltete sich in der zweieinhalbstündigen Diskussion jedoch schwierig. Das Gespräch konzentrierte sich auf das, was man verhindern wollte: es voll zog sich das detailierte Aufrollen eines Skandals, das Festklammern an einem exemplarischen Fall. Der berechtigte Ärger über den Willkürakt eines Oberstadtdirektors bestimmte Diskussionsverlauf und Stimmung auf dem Podium und im Auditorium.

Der Fall, der die Gemüter erregte und auch an diesem Abend nicht zu einem Abschluß gebracht werden konnte, ist die Geschichte einer Auseinandersetzung zwischen einer öffentlich – rechtlichen Anstalt, dem ZDF und einer Behörde, der Stadt Gelsenkirchen.

Zwei Vertreter der kontrahenten Parteien waren an diesem Abend auf dem Podium anwesend. Zum einen der Filmemacher Bernd Schadewald, dessen Filmprojekt „Romeo und Julia“ bisher nicht realisiert werden konnte, zum anderen der Stadtdirektor von Gelsenkirchen, Jürgen Linde, der die Drehgenehmigung verweigert hatte. Die Positionen waren also klar – es gab den Guten und den Bösen und dementsprechend Solidaritätserklärungen für den Betroffenen und viel Schelte für den „Bösewicht“. Unterstützt wurde letzterer nur von Oberbürgermeister Josef Krings, sonst bezogen alle Front gegen ihn – derweil das Thema HEIMAT zwischen diesen Fronten zermahlen wurde. Diese Entwicklung war schon während der Vorstellung der einzelnen Teilnehmer abzusehen. Auf Aufforderung von Janke hatten sie eingangs Gelegenheit, Stellung zum eigentlichen Thema des Abends zu nehmen und gleichzeitig zur Selbstdarstellung.

Oberbürgermeister Josef Krings präsentierte sich als Stadtvater, den in der derzeitigen sozialen und ökonomischen Situation ganz andere Probleme bewegen als solche fernsehästhetischer Natur. In Anbetracht der hohen Arbeitslosigkeit („Jeder 3. Arbeitslose ist Sozialhilfeempfänger“) bleibt er in dieser Beziehung gelassen, zumal seine Fernseherfahrung rudimentär ist. Auf seine Einschätzung der Darstellung des Ruhrgebiets in den Medien angesprochen, äußerte er, hier scheine ihm teilweise Undifferenziertheit und Einseitigkeit vorzuliegen. Die immergleichen stereotypen Bilder vom Ruhrgebiet („Kohlehalden, Malocher“) würden abgebildelt oder der Zuschauer erhielte manipulierte Bilder auf dem Fernsehschirm präsentiert.

Dem widersprach die Filmemacherin Gabriele Voss vehement, der Vorwurf sei zu pauschal, man müsse differenzieren, sie nähmen in ihrer Arbeit (Filmzyklus Prosper/Ebel) den Dialog mit den Menschen der Region, die sie abbildeten, auf. Man könne das Fernsehen kritisieren, doch müsse man berücksichtigen, daß es primär Programm sei mit unterschiedlichen Einzelsendungen von Filmemachern unterschiedlicher Sensibilität. Zur Veranschaulichung führte sie ein Beispiel aus ihrer Arbeit an. Eine Fotomontage mit Privatfotos eines Türken wurde erst nach ausführlichen Diskussionen mit dem Eigentümer in den Film aufgenommen, dem Arbeitsprinzip von Hübner/Voss entsprechend: die Leute müssen mit dem, wie der Filmemacher sie zeigt, einverstanden sein, ihre eigene Geschichte wiederfinden. . ·

Der zweite Praktiker in der Podiumsrunde, Robert Hartmann, wies den Pauschalitätsvorwurf von Josef Krings ebenfalls zurück. Man solle doch nicht die Kausalität verkehren und die Filmemacher für die Strukturkrise des Ruhrgebiets verantwortlich machen. Im übrigen plädierte Hartmann – oft aphoristisch-wortgewaltig („Das Fernsehen praktiziert zunehmend einen Handel mit Karnickel, statt Aufträge an seriöse Filmemacher zu vergeben“) für eine Erweiterung der Sendeplätze für den Dokumentarfilm. Außerdem, so Hartmann, sei die Frage der Sensibilität eines Filmemachers ein generelles Problem und dürfe nicht auf die Region Ruhrgebiet beschränkt werden.

Zum Zuge kam Hartmann, wie alle übrigen, erst dann, als mit der Vorstellung Dr. Jürgen lindes die Polarisierung der Situation konkrete Gestalt annahm. Auf seine Einschätzung der Darstellung des Ruhrgebiets in den Medien angesprochen, unterstützte Linde den Appell der Filmemacher nach größerer Sensibilität und zog deren Bedenken zur Begründung seiner Absage an das ZDF heran. Nach Einsicht in das Drehbuch habe er feststellen müssen, daß in dem Filmprojekt „Romeo und Julia“ ein Negativ- Bild Gelsenkirchens gezeichnet werde, das der Zuschauer mit dem realen Gelsenkirchen verwechseln könne (Janke fragte nach: „Verwechseln oder Wiedererkennen?“) In dem Film, einer Liebesgeschichte zwischen der Anhängerin und dem Anhängerzweier verfeindeter Fußballclubs, gäbe es Kulissenmotive, die nicht mehr prägend für das Ruhrgebiet seien und den üblichen Vor-vorstellungen (vom „Malocher, Asozialen, Säufer .. ) Vorschub leisteten. Dies sei Verantwortungslosigkeit gegenüber dem Ruhrgebiet und – (unter Bezugnahme auf die Werbewirksamkeit eines Films) – schränke Lebenschancen ein. Zudem widerspräche das Filmprojekt „Romeo und Julia“ dem Prinzip der Ausgewogenheit. All dies habe ihn zur Verweigerung der Drehgenehmigung bewogen, doch sein Angebot mit allen Verantwortlichen an einem Tisch zu diskutieren, bestünde nach wie vor. Damit eröffnete er das Feld zum freien Meinungsaustausch.

Zunächst wies ihn Ralf Buttler auf sein letztes Argument eingehend daraufhin, daß Öffentlichkeitsarbeit nicht zum Auftrag einer öffentlich-rechtlichen Anstalt gehöre („Auch für 16,50 können sie Objektivität nicht verlangen“) und deutete sein Verhalten als eine pathologische Erwartungsangst mit einer langen Tradition. Diskussionsleiter Janke vermutete hinter Lindes Entscheidung politisches Kalkül. Gestützt auf die Zwischenbemerkung eines Zuhörers, Willy Seglers, der Linde als Informant der Presse angeprangert hatte, kehrte er den Vorwurf Lindes, der Film sei Negativ-Werbung um. Janke fragte nach der Art der Negativ-Werbung auf die Linde mit seiner Entscheidung spekuliert habe; fast schon als spränge er für Linde in die Bresche schien es, als der am nächsten Betroffene, der Filmemacher Schadewald zu Wort kam. Er zeigte Verständnis für die Möglichkeit einer Fehlinterpretation und damit Fehlentscheidung nur auf Grundlage des Drehbuches. Doch wies er daraufhin, daß ein einzelner Film nie exemplarisch für ein ganzes Gebiet stehen könne, immer auswähle und in seinem Projekt ginge es um Fußballfans, die in ihrem ganz spezifischen Milieu gezeigt werden müßten. Orte müßten dingfest gemacht werden, sie seien Orientierungshilfen für den Zuschauer.

Die Statements der Filmemacher aus dem Publikum waren von unterschiedlicher Schärfe. Christoph Hübner, der sein Votum durch Kenntnis des inkriminierten Drehbuchs legitimierte, warf Linde Machtmißbrauch in diesem speziellen Fall vor. Darüberhinaus Unkenntnis und Unverständnis gegenüber den realistischen und sensiblen Bildern vom Ruhrgebiet, wie sie von vielen hier vertretenen Filmemachern vorlägen. Sie stärkten das Selbstbewußtsein des Ruhrgebiets, statt, wie vorgeworfen, seine Aufwärtsentwicklung zu unterminieren.

Existentielle Bedrohung sah ein anderer Filmemacher nach dieser Entscheidung auf sich zukommen. Die bereits schwierige Position in den Fernsehanstalten („Ausgewogenheitsprinzip“), käme nun noch das Problem in der Wahl der Drehorte auf Ausgewogenheit zu achten.. Die schleichende Zensur in beiden „Öffentlichkeiten“ war das Schreckgespenst, das er ausmalte.

Ganz deutlich formulierte dann Thomas Mitscherlich seine Befürchtungen.. Er sieht die Freiheit von Kunst und Wissenschaft gefährdet und insistierte auf einer öffentlich~ Zurücknahme der Entscheidung.. Als Linde seinem Ersuchen nach mehrmaligem Hin- und Her nicht stattgab (Linde: “Das ist ein Image-Problem. Ich kann nicht zu Kreuze kriechen vor dem Fernsehen.“), verließ Th. Mitscherlich unter Protest den Raum.

Nur wenige Diskussionsbeiträge versuchten sich von dem Fall „Romeo und Julia“ zu lösen und auf das eigentliche Thema aufmerksam zu machen.

Angela Haardt erachtete die Diskussion dieses Präzedenzfalles für notwendig, doch bedauerte sie das Festklammern daran. Im Medienbereich, explizit den Regionalstudios, konstatierte sie eine erschreckende Arroganz gegenüber der Realität und vermutete Produktionszwänge dahinter. Dietrich Leders Beitrag ging in eine ähnliche Richtung, wenn er dazu aufforderte, die Organisation von Wirklichkeit im Fernsehen einmal zu hinterfragen und zu überlegen, ob die Filme, der Duisburger Filmtage nicht noch zu heute schon anachronistischen Bedingungen entstanden seien. Die „Magazinierung“ beherrsche inzwischen die Programmstrukturen und da sei Detailgenauigkeit und das Einlassen auf Widersprüche kaum mehr möglich. Werner Ruzicka empfand die Vorab–verurteilung und auch Beurteilung eines nicht gedrehten Films als störend und drängte darauf, die Diskussion abzuschließen, endlich zu den Dokumentarfilmen zu kommen, die die Menschen des Ruhrgebiets in ihrer Art und Würde national verbreitet hätten.

Diese Beiträge wurden zwar angehört doch die in ihnen enthaltenen Anregungen nicht weiterverfolgt. Die Diskussion schloß bei unverändert starrer Position Jürgen Lindes und einer verständnisvollen Haltung Josef Krings für den hart attackierten Amtskollegen,- mit dem Appell (und der Hoffnung) den FiIm doch noch zu ermöglichen und ihn ansehbar zu machen.