Extra

Gewerkschaft und Film

Duisburger Filmwoche 6
1982

Podium: Hinnerik Broeskamp, Erich Auch, Oswald Todenberg, Ulli Veith, Hanneliese Feldkamp
Moderation: Elfriede Schmitt
Protokoll: Jochen Baier

Protokoll

Als Leitfrage der Diskussion formulierte Elfriede Schmitt zu Beginn, welche Position die Gewerkschaften bezüglich des unaufhaltsamen Aufkommens der Neuen Medien verträten. Diese Frage ergebe sich aus dem bisherigen Diskussionsprozeß während der Duisburger Filmwoche, in dem die Möglichkeit eines Eingreifens in den laufenden Verkabelungsprozeß unter den Filmemachern intensiv behandelt worden sei. Es interessiere daher, welche Eingriffschancen die Gewerkschaften hier sähen.

Oswald Todenberg versuchte, in einem umfänglichen, etwa halbstündigen Wortbeitrag, die Stellung der DGB-Gewerkschaften zu skizzieren, wobei er allerdings einschränkend bemerkte, daß er a) kein Medienexperte sei, sondern der Abteilung Kultur bei DGB-Bundesvorstand angehöre, und b) auf eine solche Diskussion hier nicht ausreichend vorbereitet sei, da er auf dem Weg von der RFFU-Tagung in Lahnstein nach Duisburg seine Aktentasche mit den in Lahnstein verteilten Papieren (u.a. der thematisch gut in diese Diskussion passenden Einleitungsrede des DGB-Vorsitzenden Breit, der als Postgewerkschafter über die Materie informiert sei) zu Hause abgestellt habe. Der ganze Bereich der Neuen Medien sei inzwischen so komplex, so schwierig und so bedrohlich geworden, daß man wohl etwas sorgfältiger darüber reden müsse. Es sei eine Binsenweisheit, daß Bedrohliches im Gange sei. Das Thema sei aber relativ neu für die Gewerkschaften. Erst nach dem RFFU-Streik sei die Stille im DGB durchbrochen worden, sei ein Bewußtsein entstanden, welche Bedrohlichkeit in diesen ganzen Abläufen zutagetrete. Inzwischen gebe es im DGB eine nahezu einheitliche Position, die sehr schwierig herzustellen sei, weil einerseits mehrere Einzelgewerkschaften tangiert seien (RFFU, IG DRUPA, Postgewerkschaft, HBV), andererseits auch Interessenskollisionen sich nicht vermeiden ließen. Es sei aber  die Frage, ob und wie was verhindert werden solle. Hier müsse man sorgfältig prüfen. Alle hätten zurecht den Anspruch, die Gewerkschaften sollten etwas unternehmen, es sei jedoch daran zu denken, daß die Gewerkschaften durch Arbeitslosigkeit und Krisensituationen noch andere Aufgaben zu bewältigen hätten. Was verhindert werden müsse, sei, daß die Kabeltechnologie in private Hände komme und daß ein TV-Programm rund um die Uhr entstehe. Er erhoffe sich diesbezüglich etwas von der Gründung einer Gewerkschaft Medien und Kultur.

Nachdem gebeten wurde, auch andere, die etwas zu sagen hätten, mögen zu Wort gelassen werden, stellte Uli Veith die Frage, was die papiernen Stellungnahmen des DGB nützen mögen. Bei allen DGB-Papieren zur Medienpolitik stelle sich ihm das Problem, daß man nie recht wisse, wie die richtigen Forderungen, die in den Papieren erhoben würden, durchzusetzen seien. Schon gegenüber den öffentlich-rechtlichen Anstalten, in denen die Gewerkschaften Mitspracherecht haben, habe der DGB bisher wenig durchgesetzt. Der alte Anspruch der Medienarbeit im DGB, die historisch aus der Abteilung Werbung entstanden sei, Öffentlichkeit gleichzeitig zu nutzen und mittels Pädagogik Aufklärung über Öffentlichkeit zu betreiben, sei bislang nirgends erfüllt.

Arnold Sieber bemerkte, es sei das Problem der Institution DGB, daß sie zu wenig Vertrauen in die Kollegen habe. Jetzt, nachdem der Draht nach Bonn gekappt sei, rufe der DGB zu Demonstrationen auf und man sehe doch, daß die Basis komme. Der DGB-Apparat fördere den Spezialismus, der zur Folgenlosigkeit aller Diskusionsprozesse führe.

Daß auf der Führungsebene des DGB Ignoranz in Sachen Neue Medien herrsche, war auch die Ansicht Dietrich Leders, der gleichzeitig den ritualisierten Charakter bisheriger Gespräche zwischen Gewerkschaften und Filmemachern angriff. Man habe Konzepte einer bildungs- und filmpolitischen Zusammenarbeit entworfen, während inzwischen die Medienstruktur im Land sich vollständig umkrempelte. Im übrigen sei es nicht Schwarz-Schilling, sondern ein sozialdemokratischer Bundespostminister gewesen, der diese Medienstruktur geschaffen habe (Stichwort „BIGFON“). Man solle hier darüber reden, was konkret zu bewahren und zu verteidigen sei, man habe keine Zeit mehr, auf Expertenworte zu warten und kämen sie aus den Reihen des DGB.

Erich Auch aus Oberusel beklagte allgemein die in den vorhergegangenen Beiträgen dargestellte wie zum Ausdruck gebrachte allgemeine Veränderung in der allgemeinen Haltung speziell der Jugendlichen zur Gewerkschaft. Es sei der Eindruck möglich, daß gerade die aktiven Jugendlichen der Gewerkschaft wegliefen. Er erkläre sich das so, daß gewerkschaftliche Arbeit im Betrieb zunehmend schwieriger werde; in dieser Situation würden zunehmend Aktivitäten von der Friedensbewegung und von den Alternativbewegungen, die mit Industriearbeit gar nichts mehr anfangen wollten, absorbiert. Er sehe eine große Gefahr darin, daß die beiden Bewegungen, Gewerkschaften und Alternative, die doch zusammengehörten, dazu tendierten, sich auseinanderzubewegen. Sein vordringliches Interesse gehe in diesem Kreis dahin, mehr Filme anzuregen, die das eine mit dem anderen verbänden. Freilich gebe es auch innerhalb der Gewerkschaften Interessenunterschiede. Man müsse z.B. zunächst einmal verstehen, daß viele Kollegen und Funktionäre die quantitativen Aspekten sähen, unter dem nämlich, daß die neuen Technologien auch Arbeitsplätze schüfen.

Dagegen wurde eingewendet, daß große Zweifel an der von Auch beschworenen Offenheit der Gewerkschaften berechtigt seien. Es sei auch bemerkenswert, daß die RFFU soeben in einem Beschluß nicht den Kabelstop gefordert habe, sondern einzig die Verhinderung der Privatisierung.

Ein weiterer Beitrag griff die in den Aussagen der anwesenden Gewerkschaftsvertreter gezogene Trennung zwischen der Arbeitsplatzkrise und der Verkabelung an. Die Verkabelung sei nicht primär ein kulturelles Problem, sondern eine Angelegenheit der Rationalisierung. Es bestehe ein Zusammenhang zwischen der Schaffung einer Kabel-Infrastruktur und der Rationalisierung durch Computertechnologie.

Kritisiert wurde im strategischen Zusammenhang auch die integrationistische Tendenz gegenwärtiger Gewerkschaftspolitik. Es habe doch Gründe, wenn Aktive ihre Aktivitäten andernorts anbrächten. Die Gewerkschaft, so sei zu befürchten, laufe auch hier nur den Entwicklungen hinterher.

Hinnerick Broeskamp verwahrte sich gegen diese Unterstellung. Es geschehe durchaus etwas, um in Kontakt mit Jugendlichen zu kommen, viele DGB-Einrichtungen riskierten auch etwas. Im übrigen gehe es um Sachen, nicht um Benennungen.

Zum Begriff der „Interessen“ bemerkte eine Diskutantin, der Begriff habe einen merkwürdigen Klang im Zusammenhang mit der Arbeitsplatzdiskussion, da niemand jemals problematisiere, was genau denn „Interessen“ seien. Darüberhinaus werde seit 10 Jahren über Neue Medien geredet, seit 5 Jahren stehe jeden Tag etwas in der Zeitung; es sei doch bemerkenswert, daß der DGB erst jetzt reagiere.

Ein weiterer Teilnehmer nannte es einen Ausverkauf der politischen Moral angesichts der kapitalistischen Krise, wenn ständig mit dem „Schlagetotargument“ von den Arbeitsplätzen hantiert werde.

Oswald Todenberg ließ sich, so angesprochen, dahingehend ein, daß ihm und, wie er meine, auch dem DGB, die Zusammenhänge schon bewußt seien. Diese Gesellschaft produziere, was sie produziere, selber und in der Rolle des Arztes am Krankenbett befinde sich der DGB nicht erst seit gestern. Man solle ihm aber die revolutionären Gewerkschaften einmal zeigen. Sicher sei Ärger über den Apparat bisweilen angebracht, die anstehenden Probleme seien aber nicht durch Bürgerinitiativen etc. zu bewältigen. Im übrigen wolle er wissen, wer von den Anwesenden in der Gewerkschaft Engagement zeige. Wer seine Anliegen nicht hineintrage, solle sich nicht wundern, wenn nichts herauskomme. Man könne insgesamt eben nur mit den vorhandenen Strukturen arbeiten oder man müsse nach Bali auswandern.

Diesem Gegenargument wurde erwidert, daß es Kämpfe und Engagement innerhalb der Gewerkschaften in Fülle gebe, die Engagierten jedoch das Gefühl haben müßten, gegen eine Gummiwand anzugehen.

Helga Grün kam mit einem Beitrag zu Wort, in dem sie erklärte, sie sei aus der Gewerkschaft wieder ausgetreten, weil sie sich in ihrem Engagement gegen die Neuen Medien und Technologien von dieser verlassen gefühlt habe. Das Problem der Gewerkschaften werde es in Zukunft nicht mehr sein, um Lohnprozente in Interconti-Hotels zu feilschen, sondern mit den neuen Technologien entstehe eine gründlich veränderte gesellschaftliche Situation, der gegenüber anders agiert werden müsse. Diesbezüglich verhalte sich die Gewerkschaft jedoch rein defensiv. Sie orientiere immer noch auf den Sozialplan. Man müsse sich aber darauf vorbereiten, daß es wieder risikoreicher werde, für die Interessen der Arbeitnehmer einzusetzen. Die Gewerkschaft solle bald daran gehen, die Kollegen wieder kennen zu lernen.

Gegen Ende der Diskussion wies Dietrich Leder darauf hin, daß es ein allgemeines Problem nicht nur der Gewerkschaften sei, immer zu spät zu kommen. Auch die Friedensbewegung bekämpfe heute Waffen, deren Planung vor 20 Jahren abgewickelt worden sei. Man solle in Rücksicht darauf von den Industriemanagern lernen und aktiv werden, wenn die Planung beginne und nicht erst dann, wenn der Beton ausgerollt werde. Er schlug vor, möglichst bald ein Symposion  zu veranstalten, auf dem die in dieser Diskussion nur angerissenen Fragen auf breiterer Ebene diskutiert werden könnten.

Zum Schluß gab Oswald Todenberg, nach der konkreten Position des DGB zum Kabelfernsehen befragt, an, es laufe in den Gewerkschaften ein DIskussionsprozeß angesichts der Bedrohung durch die Neuen Medien. Die Verkabelung selbst sei aber nicht mehr aufzuhalten und der DGB habe auch nicht die Mittel, bei einer evtl. Privatisierung ein eigenes Programm zu starten. Eine Arbeitstagung befürworte er.

 © Kinemathek im Ruhrgebiet, Foto: Paul Hofmann
© Kinemathek im Ruhrgebiet, Foto: Paul Hofmann