Film

Septemberweizen
von Peter Krieg
DE 1980 | 96 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 4
20.09.1980

Diskussion

Protokoll

Kernsätze
„Eine Filmmontage, die bewußt in den Schein der Wirklichkeit eingreift, sie etwa durch eine collagenähnliche Konfrontation verschiedener Realitätsfetzen auflöst, um dahinter andere Ebenen der Realität sichtbar- oder wenigstens erfahrbar und erkennbar zu machen. . ”
– aus dem Begleitmaterial
„Eine solche Form öffnet der Manipulation Tür und Tor.”
„Ich werde Oberfahren von so einer Summe von Informationen. Eine Information schlägt die andere tot und ich bin nicht mehr in der Lage zu folgen.”

Die Diskussion um Peter Kriegs Film wurde sehr schnell zu einer Diskussion über dokumentarische Formen und Arbeitsprinzipien, die auch andere vorher gezeigte Filme einbezog. So sollten die vorangestellten Kernsätze drei Punkte der Debatte bezeichnen, nicht etwa ihren Gang widerspiegeln. Peter Kriegs Skizze seines Verständnisses von dokumentarischem Film und dem Film selbst wurden im wesentlichen zwei Vorwürfe gemacht:
1. der der Manipulation
2. der des Erschlagens mit Information und Details

Vorweg einige Zusatzinformationen zum Film, die im Verlaufe der Diskussion gegeben wurden. – Peter Krieg hat sein Thema seit 6 Jahren recherchiert, dann auf der Grundlage dieser Recherchen 5 Monate in Amerika gedreht. 7 Monate wurde dann am Schnitt des Filmes gearbeitet, wobei der unterlegte Text erst im letzten Monat entstand. Zur Finanzierung des Films, dessen Gesamtkosten Peter Krieg auf 250 000 DM schätzte, trug das „kleine Fernsehspiel” des ZDF 100 000 Mark bei, und weitere 60 000 Mark kamen uns einem Fond der evangelischen Kirche für Bildungsarbeit.

Collage als Prinzip

Peter Krieg erklärte, er habe einen Dokumentarfilm machen wollen, der anders sei, als er in den letzten Jahren bei uns als dokumentarisch befunden worden sei. Aber es geht ihm um das, was unter der Oberfläche liegt. Mit Hilfe des Collagenprinzips auf verschiedenen formalen Ebenen soll das, was unter der Oberfläche liegt, sichtbar gemacht werden. Durch Widersprüche in der Collage, die als Konflikt bestehen bleiben und nicht etwa in einer Handlungsanweisung aufgelöst werden, werden die Zuschauer in einen Spannungszustand versetzt. Dieser zwinge sie zu einer weiteren Auseinandersetzung mit dem Material.

I. Vorwurf der Manipulation

Mehrere Diskussionsteilnehmer machten dieser Methode den Vorwurf der Manipulation. Durch das Zusammenspiel schöner Bilder und der Musik, der in diesem Zusammenhang eine besondere Stellung eingeräumt wurde, werde der Betrachter gefühlsmäßig auf eine Ablehnung (es fiel auch der Begriff Haß) der „Weizenpartei” „hingesteuert”. Eine adäquate Möglichkeit, die vorgeführten Prozesse und Fakten nachzuprüfen, gäbe es nicht. So sei man auf das Vertrauen in die politischen Redlichkeit des Filmemachers angewiesen. Selbst wenn man ihm glaube, so sei mit dieser Methode die Möglichkeit geschaffen, unter allen möglichen Prämissen zu manipulieren. – Peter Krieg sieht die größere „Manipulation” eigentlich eher dann gegeben, wenn dem Zuschauer weisgemacht wird, die Kamera und die dahinter stehenden Filmemacher nähmen sich ganz zurück, wenngleich sie natürlich durch die Wahl des Gegenstandes und die filmische Bearbeitung dieses Gegenstandes auf verschiedenen Ebenen – von der Wahl der Einstellung bis zum Schnitt – die abgebildete Realität immer auch im Sinne ihres Blicks auf die Dinge verändern bzw. „manipulieren”. So gesehen, gehöre es geradezu zur Definition des Films, daß er die Wirklichkeit manipuliere. „Ich habe versucht, das zu machen.” (Krieg) Durch die Collageform sei die Arbeit mit dem Medium sichtbar und damit die Manipulation, im Sinne von „Verführung” des Zuschauers erst wirklich zu durchbrechen. Gerade auch das Gefühl, man müsse nachprüfen, was der Film vorführt, sei gewollt. Der Zuschauer soll zu dieser Haltung, die gesehenen ungeheuerlichen Fakten nachzuprüfen, animiert werden. Entsprechende Information, so Krieg, liest man bei einer Sensibilisierung gegenüber dem Thema jeden Tag in der Zeitung. Der Betrachter des Films soll anschließend sein Brot nicht mehr essen können, ohne sich mit den angetippten Widersprüchen und Problemen auseinanderzusetzen. Als zusätzliche Möglichkeit, den Film zu verarbeiten, habe man auch eine Begleitmappe herausgebracht, die einen Einsatz in Bildungszusammenhängen möglich mache. Auch werden die 7 Teile des Films in 7 Rollen, voneinander getrennt einsetzbar, angeboten. Der Film soll aber erklärtermaßen auch ohne Begleitmaterial mit Hilfe der eingebauten Widersprüche und Irritationsmomente funktionieren.

2. Vorwurf des Erschlagens mit Informationen

Die Überfülle des im Film angebotenen Materials war in den Reaktionen der Zuschauer beim Sehen des Films und auch in vielen Diskussionsbeiträgen ein beherrschender Eindruck vom Film. Ein Diskussionsteilnehmer wertete das als stilistische Qualität des Films. Durch die Fülle der Informationen verlören sie ihre spezifische Aussage und würden damit eine Möglichkeit eröffnen, in die allgemeine Überfütterung mit.Informationen eine Bresche zu schlagen. In der Mehrzahl der Stellungnahmen zu diesem Punkt wurde die Überfülle des Films allerdings eher als Nachteil gesehen. Thomas Giefer faßte Filme und Diskussionen, die vorangegangen war, zusammen. Bisher sei ein ganzes Spektrum an filmischen Methoden gezeigt worden. Den einen Pol kennzeichnet der Film Die Leute von Lich-Steinstrass’, in dem an der Oberfläche geblieben wird. Gerade in diesem Film sei die These, man habe sich selbst zurückgenommen, geradezu zum „Manierismus” verkommen. „Da lügt man sich selbst was in die Tasche” (Giefer). Septemberweizen repräsentiert die entgegengesetzte Möglichkeit. „Er berührte alles Material nur so kurz, daß überhaupt keine Möglichkeit besteht, sich daran festzuhalten.” Der Blick unter d1e Oberfläche werde bei dieser zweiten Methode zwar möglich, aber der ebensowichtige Blick auf die Oberfläche gehe verloren. „So werde ich überfahren von einer Summe von Informationen, eine Information schlägt die andere tot, und ich bin letztlich nicht mehr in der Lage zu folgen.”
Weil der Beginn des nächsten Filmes die Diskussion unterbrach, soll sie im Anschluß an die Debatte am Abend noch einmal fortgesetzt werden. Die Auseinandersetzung über die beiden von Thomas Giefer bezeichneten Pole der Darstellung der Oberfläche und Darstellung der Prozesse „unter der Oberfläche” und ihr Verhältnis zueinander in den jeweiligen Filmen sollte auch in den Diskussionen um die noch zu sehenden Filme eine zentrale Frage darstellen, beziehungsweise als begriffliches Instrumentarium weiterentwickelt werden.