Protokoll
Von den Autoren dieser beiden Filme war niemand anwesend. Horst Königstein hatte sich wegen Dreharbeiten und Helma Sanders wegen den Vorbereitungen zum Start ihres Spielfilms „Deutschland – bleiche Mutter” entschuldigen lassen. So stand nur Heinrich Breloer, der Autor des Filmes vom Nachmittag „Mein Tagebuch (2); Die verschwiegenen Papiere/ Zwei gegen Hitler” als langjähriger Mitarbeiter von Horst Königstein als Partner zur Verfügung. Die Diskussion beschäftigte sich neben der Sanierungsproblematik allgemein mit
1. der beabsichtigten Wirkung beim Film „Adolph-Passage I”
2. dem Gegensatz der beiden Filme als Ausdruck verschiedener Haltungen zu Leuten, deren Leben thematisiert wird.
3. der Funktion der Kunstfigur „Sängerin” in „Adolph-Passage I” und dem Charakter des Films als Musikproduktion
Auf die Frage nach dem Hintergrund des Films verwies Heinrich Breloer auf die in unserem Lande immer stärker werdende Tendenz der Administration zur Zerstörung von gewachsenen Lebensräumen mit dem Argument ihrer Sanierungsbedürftigkeit. Zwar sei dieses Argument mit Blick auf bestimmte bauliche und sanitäre Voraussetzungen mitunter berechtigt, lasse aber gerade die sozialen Qualitäten, mit denen Geschichte der dort Wohnenden und deren Emotionen verbunden sind, außer acht. Die Sanierung in dem in Frage kommenden Gebiet in Harnburg stehe noch am Anfang, und so sei im Gegensatz zu dem Film „Der Mensch an sich- wird nicht in Betracht gezogen” vielleicht durch den emotionalen Appell an Politiker noch etwas zu machen.
zu 1:
Winfried Günther verwies auf die interessante Variante in der Wirkungsspekulation, die in dieser These steckt. Bei der Diskussion um „Der Mensch an sich – wird nicht in Betracht gezogen” hatten die Autoren ihre Enttäuschung darüber erklärt, daß ihr Film keine Wirkung in bezug auf den Abriß der Häuser jener alten Menschen gehabt hat. Sie hatten den Film allerdings als Aufruf an die Betroffenen verstanden, sich zu wehren.
Den von Breloer erklärten Anspruch „den Politikern zu zeigen, was sie da eigentlich tun”, halte er für verfehlt, weil diese Sanierungspolitik durchaus kein Resultat der Unwissenheit der Verantwortlichen über die Folgen ihrer Politik sei. Breicer erklärte dagegen, er habe den Eindruck, daß die Politiker oft nicht im Bilde seien, betonte aber auch, daß sich solche Filme seiner Ansicht nach sowohl an die Betroffenen richten als auch an die Politiker.
zu 2.:
Der Protokollant, der sich an dieser Stelle herausnahm, auch einmal mitzudiskutieren. stellte die beiden Filme als Ausdruck einer unterschiedlichen Haltung zu den abgebildeten Personen gegeneinander. Ähnlich wie der Film „Marathon in New York” und „Steck lieber mal was ein”, von denen der Letztere sich wirklich für die Personen interessiert habe, während der andere eher auf Klischees zurückgreife und sie zum Teil denunziatorisch überstülpe, sei auch der NDR-Film von einem interessierten Blick geleitet, während der Film von Helma Sanders-Brahms lediglich oberflächlich Schlagbilder zum Thema zusammenstelle und eine sentimentale Theorie darübergieße. So seien in dem Hamburger Film Momente möglich geworden, in denen die Menschen ihre geschichtlichen Erfahrungen weitergeben, während man „Im Reiche des Schokoladenkönigs” nur die vorgegebene These wiederfindet. Dagegen wurde eingewandt, daß auch der Film über die „Adolph-Passage I” – in Gestalt der Fragerin und der Sängerin – eine Ausgangshypothese von der Intaktheit einer Insel verbreite. Der unterschiedliche Eindruck der Filme stelle sich nicht als Ausdruck unterschiedlicher Formen dar, sondern sei wesentlich vom ärgerlichen Kommentar bestimmt. Eine andere Diskussionsteilnehmerin erklärte, daß sie mit der Sentimentalität nicht grundsätzlich Schwierigkeiten habe, sondern erst in dem Moment, wo diese den Bildern übergestülpt wird. Winfried Günther betonte außerdem, daß dieser Film nur der erste einleitende Teil einer Reihe von drei Filmen ist und so etwas wie eine Einführung darstelle. In der Gesamtschau der Filme relativiere sich der eingangs geschilderte Eindruck und die Absicht werde dann wesentlich deutlicher.
zu 3.:
Zur Figur der Sängerin im Film merkte Heinrich Breloer an, daß sie eine Ausprägung der „Figur des Schnüfflers” sei, die u.a. von Rosenbauer und ihm entwickelt worden sei. Dabei wird jemand mit einem umgehängten drahtlosen Mikrophon in die Situation geschickt und versucht, sich den Problemen und Prozessen anzunähern beziehungsweise Situationen zu initiieren. Dabei wird er von einem Kameramann beobachtet, weiß aber nicht genau, wann er aufgenommen wird. Diese Methode entspreche, so die Begründung, eigentlich der Situation des Filmteams, das auch als Fremdfaktor zu den Leuten komme und sie nach der Filmarbeit wieder verlasse. In dieser Figur bestehe die Möglichkeit, das mitzureflektieren. Darüberhinaus sollte der Film auch eine Musikproduktion sein. Es sollte deutlich werden, wie aus bestimmten Ereignissen ein Lied wird. Methodisch ist man so vorgegangen: die Sängerin hat Protokolle ihrer Erfahrungen mit diesen Menschen angefertigt, daraus haben sich dann Lieder ergeben. Neben der Sängerin war auch der Komponist bei den Filmarbeiten ständig anwesend.