Film

Disco is disco
von Michael Braun
DE 1979 | 45 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 3
1979

Diskussion
Protokoll: Klaus Kreimeier

Protokoll

Braun zur Frage, wie er auf die Idee gekommen sei, diesen Film zu machen: er geht selbst gern in Discotheken, hat viele Wettbewerbe besucht und bei dieser Gelegenheit seine beiden Protagonisten Volker und Richie kennengelernt. Die Beziehung, die sich zwischen ihm und den Brüdern entwickelte, sollte sich auch dem Film mitteilen. Er selbst hat sich während der mehrmonatigen Zusammenarbeit verändert, hat gelernt. Mit seinem Film wollte er sich einlassen auf die subjektive Situation von Disco-Fans, ohne seine eigene kritische Distanz zu diesem Bestandteil unserer Kulturindustrie ganz zurückzustellen. Von daher die Entscheidung für eine bestimmte filmische Haltung: er sei gegen die „objektivierende Kamera“, gegen die „Geisterstimme“ des unsichtbaren Interviewers.

Die kritischen Einwände verschiedener Zuschauer lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Autor setzt Volker und Richie und ihren Träumen vom Aufstieg „nichts Eigenes“ entgegen, seine kritische Position wird nicht deutlich. Er hätte mehr Brüche, mehr desillusionierende Elemente einbauen müssen; sein Film „verlängert“ letztlich nur die synthetische Magie der Travolta-Welle. Daß hier massenhaft eine neue Gleichschaltung betrieben wird, daß die jungen Fans sich in Trainings- und Perfektionsmuster einüben, wird vom Film nicht problematisiert. Brauns eigene Position, die am Ende durch das Schild „Nicht einsteigen“ signalisiert wird, kommt im Film selbst nicht als Moment des Widerspruchs zum Zuge. Das ‚SpannungsverhäItnis‘ zwischen der Disco-Industrie und den von ihr produzierten Träumen einerseits und der kritischen Fragestellung, die hier zu entwickeln wäre, andererseits hätte sich dem Film auch Spannung zwischen den Protagonisten und dem Autor stärker mitteilen müssen.

Demgegenüber macht Braun, unterstützt von anderen Zuschauern, geltend: Es ist kaum möglich, der Traumwelt von Volker und Richie und ihrer Generation sozusagen frontal etwas Positives entgegenzusetzen. Ebensowenig können ihre Träume und Wünsche mit einem Schlag zerstört werden. In einzelnen Sequenzen seines Films hat Braun versucht, die Mechanismen der Industrie bloßzustellen – z. B. in der Massenszene, in der 600 junge Disco-Fans dem Kommando eines geschäftstüchtigen Tanzlehrers gehorchen. Grundsätzlich stand er vor dem Problem einer „Gratwanderung“ zwischen der Tendenz, einzugreifen und den Ablauf mit Brüchen zu stören, und der Tendenz des „Laufenlassens“. Braun ist gegen die Technik des pädagogischen Zeigefingers – ob dieser nun im Kommentar direkt daherkommt oder sich in der Montage verbirgt. Sein Ziel ist es, daß auch und gerade die Disco-Fans (zunächst einmal) auf seinen Film „abfahren“. Vor allem hat er das Schema der fernsehüblichen „Jugend-Dokumentationen“ mit ihren formalen Versatzstücken vermeiden wollen. Zweifellos muß man meint Braun in der synthetisierenden Durchdringung eines solchen Themas noch weitergehen; das hat er sich für kommende Arbeiten vorgenommen.

Für Volker und Richie hat er sich entschieden, weil sie sowohl ihre objektive Situation als auch ihren Traum vom Aufstieß bewußt erfahren und artikulieren können im Gegensatz zu Millionen ihrer Altersgenossen. Nur insofern stellen die beiden etwas „Besonders“ dar – aber ein „Besonderes“, an dem sich das „AlIgemeine“ (die Wünsche jugendlicher Massen von heute) sehr gut deutlich machen Ihre Träume sind nicht zuletzt ein wenn auch vom System produziertes Potential des Widerstands gegen die Misere des Alltags. Es kann nicht darum gehen, diese Illusionen und Bedüfnisse zu „zerstören“ es geht vielmehr darum, die Energie, die in sie investiert wird, zu retten und ihr eine neue Richtung zu geben.

Ausführlich kreist die Diskussion darum, wie sich Braun selbst in den Film „eingebracht“, seinen Part als Intewiewer „stilisiert“ hat. Es wird hervorgehoben, daß seine Courage, sich selbst auch dem Gelächter auszusetzen, seine Fähigkeit zur Selbstironie der Gefahr der Denunziation, der intellektuellen Arroganz gegenüber den vom Disco-Fieber „Betroffenen“ entgegengewirkt haben. Darüberhinaus ist es Braun gelungen, die Präsentationmormen des Fernsehens zu „unterlaufen“, indem er die Figur des von außen hinzutretenden — und meist auch außen bleibenden — Fragestellers aufgelöst und sich selbst zur Spielfigur stilisiert hat; ebenso zielt die synthetische Integration spielfilmhafter Elemente auf eine Durchbrechung „dokumentarischer“ Fernsehformen und ihrer Monotonie