Film

Anna Astrid Poll
von Gerd Conradt
DE 1978 | 55 Min.

Screening
Duisburger Filmwoche 3
1979

Diskussion
Protokoll: Heiko R. Blum

Protokoll

Die Filmemacher erklärten zu Beginn der Diskussion, daß es sich bei ihrer Arbeit um eine Video-Aufzeichnung handle. die hinterher vom Bildschirm auf 16mm Film aufgezeichnet wurde. Man sei ohne feste Vorstellung und Auftrag nach London gefahren, habe in wenigen Tagen den Film aufgezeichnet, die einzelnen Gespräche direkt den Interviewten vorgespielt und dabei einiges Material wieder gelöscht. Gedreht wurde kurz nach der Verhaftung von Astrid Proll, wodurch die Dokumentation bereits Geschichte sei, da Astrid Proll inzwischen in die Bundesrepublik ausgeliefert wurde, auf freiem Fuß lebe und ihre Lage sich auch wesentlich von der damaligen unterscheide. Die im Nachspann genannten acht Video-Produzenten sind als Solidargemeinschaft zu verstehen: einmal sei es eine Frage der Verteilung von Verantwortung beziehungsweise eventueller juristischer Verfolgbarkeit, zum anderen würde die Verbreitung des Films dadurch, daß jede Gruppe eine eigene Kopie habe, vergrößert.

Gezeigt werde der Film in verschiedenen Gruppen, die sich mit Knasterfahrungen befassen, in Kneipen, Buchläden und anderen Stellen. Eine schriftliche Ausarbeitung des Falls habe das Hamburger Medienpädagogische Zentrum in seiner Zeitschrift „Medienarbeit“ veröffentlicht. Es erhob sich die Frage, ob Astrid Proll jetzt weiterverfolgt würde, ob man sich mit ihrer Person weiter befassen wolle und was man jetzt tun könne, um weiterzuhelfen. Die Filmemacher sagten, daß sie, ausgehend von den unzureichenden und falschen Nachrichten über die Angeklagte, eine Gegenöffentlichkeit, bzw . wirkliche Öffentlichkeit herstellen wollten. Am Anfang hätten sie gar nicht geglaubt, daß sie etwas Größeres machen könnten und hätten erstmal drei Tage lang gedreht .

Ein Zuschauer schloß an die Frage der Öffentlichkeit einen Angriff auf die WAZ an, die bis heute noch nicht veröffentlicht habe, daß sechs Jahre lang die Zeugenaussagen von zwei Beamten unterdrückt worden waren, die Astrid Proll schon seinerzeit entlastet hätten. Dies sei ein Skandal, und man solle Postkarten an die WAZ schreiben und gleich auch eine Protesterklärung an den Innenminister. Auf die Frage, ob die Filmemacher nach ihrer Rückkehr aus England und nach den Vorführungen des Films irgendwelche Repressalien erfahren hätten, konnten diese das verneinen.

Im Film wird die Lehrwerkstatt gezeigt, in der Astrid Proll KFZ-Lehrlinge ausbildete, und daran knüpfte sich die Frage eines Teilnehmers, ob man keine Lehrlinge befragt habe oder ob es andere Gründe gegeben habe, warum solche Aussagen nicht im Film sind.

Man habe mit Lehrlingen gesprochen, aber im Grunde keine erschöpfenden Auskünfte bekommen. Man müsse auch bedenken, daß zur damaligen Zeit eine gewisse Angst geherrscht habe, sich öffentlich zu äußern. Und einer der Lehrlinge, der ausgesagt habe, er hoffe, daß Astrid bald wieder da sei, wäre von seiner Mutter unter Druck gesetzt worden. Auf die Frage nach dem Klima, nach der Information in England erfuhr man, daß auch dort die Sensationspresse, z. B. die der BILD-Zeitung vergleichbare DAILY MAIL spektakuläre Berichte gebracht und daß man — Wie es die Kinder im Film sagen — Astrid in den Schlagzeilen als die GUNLADY bezeichnet habe.

Zur Methode der Dreharbeiten sagten die Filmemacher, sie hätten mit den Interviewten vorher die Drehorte und die The. men abgesprochen. Danach habe man gemeinsam das Gespräch angesehen und im Zweifelsfall gelöscht oder korrigiert.

Was vom Publikum gelegentlich als Langatmigkeit empfunden würde, sei bewußt gemacht. Es war Absicht, die Leute ausreden zu lassen: ihnen Zeit zu geben und auch rnal eine Pause stehen zu lassen. „Wir haben auf die femsehüblichen und manchmal auch notwendige Schnelligkeit von Schnitten verzichtet.“ Ein Fernsehredakteur meinte allerdings, der F Ilm zeige in manchen Passagen sehr viel Ähnlichkeit mit Fernsehgewohnheiten, etwa, wenn die Arbeitsstelle der Astrid Proll dadurch gekennzeichnet sei, daß man das Werkstattschild zeige, also die Oberfläche darstelle. Die Filmemacher meinten dazu, daß es vor allem an der Methode läge am Medium das von ihnen manche Vereinfachung verlange. Es war notwendig, mit geringen Mitteln auszukommen, und man bräuchte gerade für eine gute Video-Produktion viel mehr Vorbereitung, viel mehr Vorausplanung als das hier möglich gewesen sei.

Ein Diskussionsteilnehmer hob die Unterschiedlichkeit in der Befangenheit der Interviewten hervor. Es sei auffallend, wie selbstverständlich sich die Kinder geäußert haben gegenüber etwa Astrid Pralls Freundin. Das sei ganz natürlich, antworteten die Filmemacher. Das liege an der Betroffenheit, an einer gewissen Scheu, die bei den Kindern fehle.

Wichtig war die Mitteilung der Filmemacher, die auch in einem Gespräch im Film zum Ausdruck kommt, daß man sich bei Polizei und Behörden in England wesentlich lockerer verhalte, daß man nicht ständig überprüft würde, daß nicht ständig Mißtrauen spürbar wäre. Dagegen erhob sich ein Einwand bzw. Zweifel da doch gerade England nicht weniger konservativ sei als die BRD, doch die Filmemacher sagten, daß sie nur von ihren Erfahrungen sprechen könnten, daß sie selbst das so gespürt hätten, allerdings über die generelle Situation nichts aussagen könnten. Bei uns herrsche doch eine Stimmung, die bedrückend wirke, sie hätten dort mehr Offenheit gespürt.